Lavafontänen der Spalte 22.
Anfang Mai 2018 begann am Kilauea auf Hawaii eine Spalteneruption. Das Besondere dieses Ausbruchs war, dass er sich weder im Gipfelbereich des Vulkans manifestierte, noch am Pu'u 'O'o-Krater, sondern im unteren Bereich des Ostrifts. Genauer, in einem besiedelten Bereich der Küstenebenen, südlich des Ortes Paoha. Der Eruption voran, ging ein Abfallen des Lavasee-Spiegels im Halema'uma'u Krater, sowie der Kollaps des der Pu'u 'O'o-Kraters: das Magma floss unterirdisch ab und intrudierte ins untere Ostrift. Ein magmatischer Gang entstand und es öffneten sich mehrere Spalten, mitten in der Siedlung Leilani. In den ersten Tagen wurde altes Magma eruptiert, welches zähflüssig war und nur kleine Lavaströme erzeugte. Dann begann die Hauptphase der Eruption! Lava überflutete die Landschaft und zerstörte große Teile der Siedlung. Bereits nach wenigen Stunden erreichten Lavaströme den Ozean. Dass war das Startsignal für Martin und mich. Wir buchten Flüge nach Kona auf Big Island und machten uns 2 Tage später auf dem Weg, wohl wissend, dass es schwierig werden würde die Lava zu erreichen.
Und so war es dann auch. Als wir mit unserem Mietwagen den Ort des Geschehens erreichten, standen wir auch schon vor einer großen Straßensperre. Diese wurde von Polizei und Nationalgarde gesichert. Mehrere Versuche die Sperre zu umfahren scheiterten. Allerdings entdeckten wir einen privaten Schleichweg, der an der Forest Road begann und zum Lava-Tree-Monument führte, welches bereits im Sperrgebiet lag. Doch diesen Weg wollten wir nach Möglichkeit vermeiden: zu groß war uns die Gefahr Ärger zu bekommen. Stattdessen gingen wir den offiziellen Weg und suchten jemanden, der für die Presse zuständig war. Diesen Jemand fanden wir in Gestalt von Major Hickman von der Nationalgarde, den wir an der Feuerwehrstation Paoha treffen sollten. Als wir dort eintrafen, war der Major unauffindbar, allerdings wurde uns eine Pressekarte ausgestellt. Mit ihr gelang es uns die Straßensperren zu überwinden. Wir folgten dem Highway 132 und sahen hinter einem Hügelkamm Dampf aufsteigen. Wenige Hundert Meter von uns entfernt brodelte das Inferno. Doch an jeder Seitenstraße in die richtige Richtung stand ein Polizeiposten, der uns partout nicht passieren lassen wollte. Am Geothermalkraftwerk ließ man uns ebenfalls abblitzen. Hier war kein Weiterkommen! Also, eine sms an den Major geschickt und am nächsten Morgen waren wir für eine Pressetour zur Eruptionsstelle vorgemerkt. Voraussetzung hierfür war allerdings, dass die Situation als relativ ungefährlich eingestuft wurde..
Der Lava-Ocean-Entry auf Hawaii
Was nun tun, mit dem angefangenen Tag? Zunächst fuhren wir zum Flughafen und organisierten uns Plätze in einem Hubschrauber. Diese waren auf Tage im Voraus ausgebucht und wir mussten uns 3 Tage gedulden.Anschließend machten wir uns auf den Weg nach Hilo und suchten im Hafen die Lava One. Das silberne Tourboot aus Aluminium war uns schon von der letzten Hawaii-Reise im September 2016 bekannt. Tatsächlich sammelten sich bereits einige Touristen, die an einer Tour teilnehmen wollten. Und wir hatten Glück, es waren noch 2 Plätze verfügbar. Wir bezahlten die 200 USD Fahrtkosten in bar und stiegen ein. Kaum hatte die Lava One den schützenden Hafen verlassen, wurde es auch schon ungemütlich. Mit Vollgas steuerte Kapitän Shayne das Boot über die Wellen. Die 1-stündige Fahrt zum Ocean Entry glich einem Rodeoritt. Schon vom Weitem konnten wir die Dampfwolke erkennen, die vom Kontakt der Lava mit dem Ozean verursacht wurde. Endlich am Lava-Ocean Entry angekommen, überraschten uns litorale Explosionen. Eine Explosion war so stark, das Lavabrocken knapp neben dem Boot einschlugen. Lapilli prasselte auf das Aluminiumdach des Bootes und ich war für den Schutz des Daches dankbar. Shayne steuerte das Boot gefährlich nahe an die Küsten heran. Eine weitere Gefahr drohte von unten: im Wasser trieben beachtlich große Lavafelsen! Sollte ein Boot in voller Fahrt mit einem dieser Lavaberge kollidieren, hätte es wahrscheinlich schlechte Chancen. Martin und ich waren begeistern und beschlossen gleich, eine weiteren Fahrt in der Morgendämmerung zu unternehmen. Die Lichtstimmung war bombastisch. Zur Krönung gab es sogar vulkanische Blitze in der Eruptionswolke einer litorale Eruption. Last, but not least, wurde das Boot auf der Rückfahrt von einer Delfinschule begleitet.Leilani's Spalte 22 in Aktion
Nach einem verspäteten Frühstück -auf Neudeutsch Brunch genannt- waren wir und unsere Abenteuerlust gestärkt. Wir machten uns auf zur Kirche von Paoha, wo sich bereits die Pressevertreter einfanden. Ziel war es, mit Hilfe der Nationalgarde zur Eruptionsspalte zu gelangen. Wenig später trafen auch Major Hickman und seine Leute ein. Die Journalisten wurde auf 3 Fahrzeuge verteilt und schon ging es los Richtung Sperrgebiet. Nach einer 10 minütigen Fahrt erreichten wir Leilani. Die Straßen präsentierten sich verlassen. Ein schneller Blick in eine Seitengasse zeigt, dass sie von Lava unterbrochen wurde. Die Spannung stieg. Wir stoppten an einer weiteren Sperre und mussten im Wagen bleiben, während sich die Männer von der Nationalgarde der Eruptionsspalte näherten. Sie wollten erst Gasmessungen vornehmen, bevor wir kommen durften. 2 Minuten später wurde es uns gestattet die Fahrzeuge zu verlassen. Es folgte noch eine Einweisung: wir sollten uns an den Anweisungen der Militärs halten. Sobald die Schwefeldioxid-Konzentration in der Luft über 15 ppm stieg, würde der Befehl erteilt werden, die Gasmasken aufsetzen und zu evakuieren. Wer den Weisungen nicht sofort Folge leisten würde, der würde für weitere Pressetouren gesperrt werden. Soweit, so gut! Endlich durfte sich die Fotografen-Schar auf den Weg machen. Wir hörten schon das Fauchen und Rauschen der Lavafontänen und wenige Schritte später wurde uns ein fantastischer Anblick geboten: in 100 m Entfernung endete die Straße abrupt an einem Lavafeld. Gut 150 m weiter sprudelten 2 Fontänen. Die rot glühenden Lavasäulen stiegen bis zu 50 m hoch auf. Die Schmelze klatschte auf den Boden und speiste einen breiten Lavastrom, welcher sich in einer Senke staute und einen sekundären Lavasee bildete. Genau dort befanden sich vor wenigen Tagen noch zahlreiche Häuser. Die Lava tilgte jede Spur von ihnen. Die Nationalgarde hatte 2 Aussichtspunkte für uns gesichert. Einer befand sich im Garten eines Hauses, dass nun direkt an den Lavastrom grenzte. Der Andere endete vor einem Flatterband am Ende der Straße. Selbige war auf halben Weg zu ihrem abrupten Ende von Spalten durchzogen. Die Journalisten wurden in 2 Gruppen aufgeteilt und wurden im Wechsel auf beiden Lokationen verteilt. Zu unserer Überraschung verweilten wir gut 90 Minuten im Sperrgebiet und durften die Positionen mehrmals wechseln. Ein Luxus, den wir auf spätern Touren nicht mehr genossen.Noch am selben Abend durften wir Major Hickman und sein Team ein zweites Mal begleiten. In der Dämmerung war der Anblick noch atemberaubender als am Tag. Es herrschte reges Treiben im Sperrgebiet und die Bewohner des Hauses waren an der Lavafront. Sie hatten einige Vulkanfotografen mit ins Sperrgebiet genommen. Auch andere Anwohner von Leilani waren schaulustig. Bewohner der Siedlung hatten Sonderausweise und sich im Sperrgebiet frei bewegen.
Als wir am nächsten Abend dorthin zurück kehrten, hatte sich die Landschaft dramatisch gewandelt. Das Haus war in der Lava vergangen und die Straße gut 100 m weit mit Lava überflutet. Spalte 22 hatte ihre Aktivität eingestellt. Dafür hatten sich an anderen Stellen kleine Spalten geöffnet. Um deren Öffnungen wuchsen bereits Schlackenkegel. Wir waren freudig überrascht, dass wir praktisch täglich Plätze in den Pressetouren bekamen, denn eigentlich war dies nicht so angedacht. Major Hickman nannte uns inzwischen "seine beiden Deutschen". Wir setzten die Touren nur aus, wenn wir uns auf den Weg Richtung Gipfelcaldera machten. Wir hofften auf die angekündigte große Ascheeruption, vergleichbar mit 1924. Doch auch nachdem der Spiegel des Lavasees unter Grundwasserniveau gefallen war, blieben die prognostizierten phreatomagmatischen Explosionen aus. Allerdings wurden wir Zeugen mehrerer kleiner Ascheeruptionen, welche vermutlich mit Kollaps-Ereignissen zusammen hingen. Leider war nicht nur der Nationalpark gesperrt, sondern es war verboten auf dem Highway Nr 11. anzuhalten. Und zwar auf einer Länge von 12 Meilen, was auch tatsächlich kontrolliert wurde! So blieb uns wieder einmal nichts anders übrig, als uns des Nächtens zu schleichen.
Endlich kam der Tag des Helifluges. Nach einem Briefing enterten wir den Hughes MD 500 von Paradis Helicopters und kamen uns vor wie in einer öligen Sardinenbüchse. Der Flug wurde ohne Türen durchgeführt, was sich als relativ fatal erwies: die Abwinde der Rotorblätter erzeugten regelrechte Schläge, die selbst der Bildstabilisator der Kamera nicht ausgleichen konnte. Den ursprünglichen Plan einen Gimbal zu benutzen, hatten wir zu Gunsten der größeren Flexibilität dummerweise verworfen. So genossen wir zwar eine recht nette Aussicht aus der Vogelperspektive, doch vom filmerischen Gesichtspunkt lohnte der Flug nicht. Hinzu kam, dass wir eine ¾ Stunde Verspätung hatten und das Licht mies war. Der Pilot hielt die vorgeschriebene Flughöhe von 500 m ein und schwebte nicht ein einziges Mal über den Lavafontänen. Dafür kreiste er zum Schluss 5 Minuten lang über einem Wasserfall in der Nähe des Flughafens. Alles in Allem eine recht enttäuschende Erfahrung, die uns 340 USD pro Person kostete.
Eruption der Spalte 8 beginnt
Bisher hatten wir ein Hotel in Hilo bewohnt. Dieses lag zwar gut 30 Fahrminuten von Paohoa entfernt, lag logistisch aber günstig, da wir schnell am Lavatour-Boot und am Flughafen waren. Nun zogen wir in ein Haus um, dass wir zusammen mit dem französischen Vulkanspotter Florent bewohnten. Das Haus mieteten wir über Airbnb und lag in Nanawale Estates, der Nachbarsiedlung von Leilani. Das Haus lag ca. 2 km Luftlinie von den Lavaströmen entfernt. Wir konnten das Fauchen der Eruption hören und Nachts den rot illuminierten Himmel betrachten. Zur Lava kamen wir indes nicht, wenigstens nicht ohne Begleitung der Nationalgarde. Wir wollten aber näher an die Fontänen heran, als es uns die Offiziellen gestatteten! Wir verabredeten uns mit einer einheimischen Vulkanführerin, die uns mit Hilfe eines Anwohners von Leilani ins Sperrgebiet bringen wollte. Nach einigem hin und her saßen wir gut getarnt in ihrem Wagen und wollten gerade den Kontrollposten passieren, als dieser plötzlich komplett dicht gemacht wurde. Verdutzt schauten wir uns an. Was war nun los? Es war von einem Notfall die Rede und von erneuten Evakuierungen. Da ahnten wir bereits, dass sich die Eruption verstärkt haben musste. Frustriert kehrten wir in unser Ferienhaus zurück. Nach und nach sickerten Gerüchte durch, dass sich die Aktivität auf eine andere Spalte verlagerte hatte. Im Internet-TV sahen wir eine Straße, welche von einem Lavastrom abgeschnitten wurde. Dahinter stiegen 2 lodernde Lavafontänen in den Himmel. Unglaublich! Wir entschlossen uns, dass es Zeit sei Plan B zu folgen: Wir fuhren zur nahen Forest Road und parkten den Wagen an ihrem Ende. Die Gegend war wenig vertrauenerweckend. Am Rand der Schotterpiste standen ausgebrannte Autowracks, unmissverständliche Hinweise, dass hier Besucher ungern gesehen sind. Am Ende der Straße begann ein schmaler Privatweg, der sich durch Schilfbewuchs wand. Diesem folgten wir für gut 500 m, bis wir an einigen Häusern vorbei kamen. Plötzlich gingen sämtliche Lichter an einem Haus an und eine weibliche Stimme keifte hinter uns her. Wenig später folgte uns ein Wagen mit 2 Insassen. Er hielt vor der Absperrung am Parkplatz des Lava-Tree-Monument. Für den Rückweg schwarnte uns nichts Gutes! Schnell passierten wir 2 weitere Absperrungen und flüchteten uns in einen Forstweg, der parallel zum Lavastrom verlief und Richtung Leilani führte. Diesen Weg hatten wir bereits am Tage ausgekundschaftet. Allerdings waren wir umgekehrt, da es an einer Stelle stark nach Methangas roch. Nun gaben wir uns einen entschlossenen Ruck und passierten den Weg, obwohl es nach Gas roch und blaue Flammen aus dem Boden züngelten. Zwischen uns und dem Lavastrom lag ein kleines Wäldchen, in dem es nicht nur brannte: immer wieder war das Krachen von Methan-Explosionen zu hören. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als wir diese potentielle Todeszone passierten. Ich rechnete schon fast damit ohnmächtig umzufallen und halb gelähmt von einer Gasexplosion angebrutzelt zu werden, als der Gasgeruch nach lies. Jetzt durfte uns der Lavastrom nur nicht den Rückweg abschneiden, denn dann säßen wir in der Falle. Der Weg beschrieb einen 90 Grad knick. Wir folgten seiner Spur durch die Dunkelheit. Da wir es nicht wagten Taschenlampen zu benutzen, stammte das einzige Licht vom roten Widerschein der Lava, welcher von den Wolken reflektiert wurde. Plötzlich standen wir im Garten eines Hauses und schlichen zur Straße. Alles war menschenleer. Dieser Teil von Leilani war offenbar evakuiert worden. Die Häuser standen in großem Abstand, dazwischen Wald und Gebüsch. Wir folgten der Straße in Richtung rotem Lichtschein und blickten bald in den lodernden Schlund des Infernos. Lava, soweit das Auge reichte. Am Rand brennende Bäume und Hausteile. Weit hinten und kaum durch das Flimmern der Luft zu erkennen, stieg eine Lavafontäne auf. Aus Rissen im Boden züngelten blaue Flammen: Methan-Brand! Das Methan entstand durch die Inkohlung von Biomasse im Boden. Die Lava tötete nicht nur oberirdisch, sondern auch das Leben im Boden. Wir machten uns an die Arbeit und filmten die Flammen, als ich aus dem Augenwinkel einen Scheinwerfer auftauchen sah. Schnell schnappten wir uns unsere Kameras und flüchteten in den Karten des letzten Hauses am Lavastrom. Das Auto stoppte und wir hörten Stimmen. Offensichtlich eine Polizei-Patrouille. Man verzog sich recht schnell wieder und wir konnten mit unserer Arbeit fortfahren. Nach gut 20 Minuten tasteten erneut Lichter durch die Dunkelheit und wir versteckten uns abermals. Das Katz-und -Maus-Spiel war eröffnet. Was nun? Umkehren, oder weiter durch die Straßen schleichen und irgendwie zur Lavafontäne durchkämpfen? Der Zweifel dauerte nur kurz: wir waren nicht um die halbe Welt gereist, um kurz vor dem Ziel umzukehren. Sorry, Leilani. Sorry, Major.Am nächsten Morgen -unserem letzten Tag auf Hawaii- lasen wir im Internet, dass der Lavastrom unseren Schleichweg erwischt hatte. So verließen wir Hawaii mit dem Gefühl, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben.
Kurz nach unserem Abflug wurden die Strafen für Schaulustige und Fotografen drastisch erhöht. Wer im Sperrgebiet erwischt wurde, musste mit einem Bußgeld in Höhe von 5000 USD rechnen. Man begann die Eindringlinge per Helikopter zu jagen. Wie so häufig in den letzten Jahren stelle ich mir die Frage, ob dieses rigorose Vorgehen gerechtfertigt ist. Muss man Vulkanspotter und Fotografen wie Plünderer jagen, und bestrafen, oder sollte da vielleicht nicht doch noch ein wenig differenziert werden? Wo bleibt das Recht auf persönliche Entscheidungsfreiheit und eigenverantwortliches Handeln? Der Bürger wird heutzutage schnell entmündigt!
Stand: Juli 2018
Quelle der Fotos: Marc Szeglat