Für die meisten Naturliebhaber ist Kamtschatka ein Traumziel. Die Halbinsel im fernen Osten Sibiriens stellt ein El Dorado für Tierbeobachter da: Seevögel und Seehund besiedeln die Küsten, Lachse und Forellen tummeln sich im Süßwasser, Füchse und Bären durchstreifen das Landesinnere. Wir Geonauten (Florian, Martin und Marc) wurden magisch von der einzigartigen Gebirgslandschaft angezogen und natürlich folgten wir dem Ruf der Vulkane.
Im Fokus unseres Interesses lagen die Vulkane Zentralkamtschatkas: Kliuchevskoi, Bezymianny, Tolbatschik und Shiveluch. Im Süden wollten wir noch Gorely und Mutnovsky besuchen. Die 3 wöchige Reise teilten wir in 2 Abschnitte. In der ersten Woche mieteten wir uns einen Geländebus nebst Fahrer (600 USD/Tag) und in den folgenden Tagen schlossen wir uns einer Reisegruppe russischer Fotografen an, die auf Fototour waren. Sicherlich ein Kompromiss, aber eine weniger kostenintensive Lösung, als die ganze Zeit individuell unterwegs zu sein. Die im letzten Jahr vorbereitete Tour mit dem Heli scheiterte letztendlich an einer Kostenexplosion. Eins steht fest: Kamtschatka zu bereisen ist ein Abenteuer, aber ein sehr hochpreisiges (Video Satement Marc).
Der erste Reisetag verlief unter strahlender Sonne und warmen 22 Grad. Alexey, unser Fahrer, Guide und Koch jagte seinen 20 Jahre alten Mitsubishi L 300 über die Piste Petrovpavlovsk-Kljutschi und machte unterwegs an einem Lachsfluss halt. Hier wimmelte es von paarungswilligen Fischen. Am Spätnachmittag kamen wir in Sichtweite der zentralen Vulkangruppe Kliuchevskoi - Bezymianny, doch anstatt weiter nach Kljutschi zu fahren stoppten wir in Kosirevsk, einem Dorf (diese Bezeichnung ist stark übertrieben) mitten im Nirgendwo. Hier wurden wir im Garten eines Bekannten Alexeys geparkt, der zwar ein El Dorado für Altmetallsammler war, aber ansonsten nichts mit dem Gelobten Land gemein hatte: der dichte Birkenwald Kamtschatkas versperrt die Sicht auf unsere geliebten Vulkane. Wenig erfreut errichteten wir unser Camp zwischen alten Tanks, Booten und Computerschränken und munterten uns mit einer Dosis optimismussteigerndem Wodka auf.
Am nächsten Vormittag erreichten wir dann Kljutschi und setzten mit der Fähre über den Kamtschatka-Fluss, um den Vulkan Shiveluch anzusteuern. Die Fahrt führte über einen abenteuerlichen Forstweg und der L 300 bahnt sich tapfer seinen Weg durchs dichte Gebüsch. Plötzlich lichtete sich das Unterholz und gab den Blick auf einen zerstörten Wald frei. Pyroklastische Ströme vom Vulkan verbrannten ihn. Vor uns breitete sich ein langgestrecktes und relativ breites Feld aus, das aus Ablagerungen der Pyroklastischen Ströme bestand. Alexey schaffte es uns 6 km weit über dieses Feld zu fahren und musste dabei immer wieder ein tief ausgewaschenes Flussbett kreuzen, das zum Glück kein Wasser führte. Auf einem Grünstreifen, am Rande des zerstörten Areals, errichteten wir unser Camp. Der Dom befand sich nur wenige 1000 Meter entfernt und wir konnten blauen Dampf aufsteigen sehen, was ein Indiz für Schwefelgase war. Allerdings war es sonst ruhig am Dom. Mit Spannung erwartete ich die Nacht um Testfotos zu machen. Ich wollte herausfinden ob der Dom an einigen Stellen glüht. Doch leider kamen Wolken auf. So stand ich nachts um 4 Uhr auf und freute mich über eine sternenklare Nacht. Doch die Testaufnahmen enthüllten nur 2 kleine glühende Spots: nicht viel los am Shiveluch. (Video: Fahrt zum Shiveluch)
Morgens trug der Vulkan wieder ein dichtes Wolkenkleid und die Geonauten entschlossen sich zur Ostseite des Kliuchevskoi-Bezymianny-Massivs zu fahren. Gesagt getan, pünktlich zur Abenddämmerung erreichten wir eine einsame Hütte beim Aussichtspunkt Apochonchich, die auf gut 800 m Höhe an der Flanke des Vulkanmassivs liegt. Natürlich hüllte sich auch der höchste aktive Vulkan Eurasiens in Wolken. Nur gelegentlich enthüllte ein Wolkenloch einen Blick auf die Feuerberge. Obwohl man meistens nur die beiden aktivsten Vulkane des Massivs erwähnt, gibt es da noch die Vulkankegel von Ushkovsky und Kamen, die zusammen mit Kliuchevskoi und Bezymianny einen 4er Cluster bilden, der noch von einigen kleineren Vulkanen flankiert wird. Der Tolbatschik erhebt sich nur wenige Kilometer weiter südlich aus der zentralen Tiefebene Kamtschatkas. Bei klarer Sicht ein atemberaubendes Panorama! Um es kurz zu machen: der Atem wurde uns nicht geraubt, Nebel und Regen versperrten die Sicht. Nur kurz Riss der Wolkenvorhang auf und nächtliche Testaufnahmen zeigten, dass auch am Dom im Krater des Bezymiannys nichts glühte. Die geringe Aktivität, gepaart mit schlechtem Wetter, vermiesten uns die Lust auf einen Aufstieg, zumal man von der Hütte aus 2 Tage lang unterwegs gewesen wäre.(Video: Statement Martin)
Nach 2 Tagen warten gaben wir auf und bezogen eine Datscha im Touristenort Esso. Eine Regenpause nutzten wir um zu einem kleinen See zu fahren. Hier gab es jede Menge Blaubeeren und noch mehr Moskitos. (Video: Florian, Marc und Mücke)
Das Wetter besserte sich erst nach 5 Tagen, als wir uns von Alexey verabschiedeten und auf die von Denis geführte Reisegruppe stießen. Das war in Kosirevsk. Der erste Eindruck der Mitreisenden war gemischt. Einerseits eine sympathische Schar Männer und Frauen mit teuren Fotoapparaten bestückt, andererseits konnte ich mir einige Mitglieder der Gruppe nicht beim Besteigen eines aktiven Vulkans vorstellen. Aber das sollte sich auch als unnötiger Gedankengang herausstellen, denn die Vulkane blieben ruhig. 4 Tag verbrachten wir -bei überwiegend schlechtem Wetter- zwischen den Vulkanen Zentralkamtschatkas. Höhepunkte dieser Zeit waren 2 Begegnungen mit Bären, die um unser Camp herumschlichen und ein weiter bergab gelegenes Camp plünderten. (Video: Die Bären sind los)
Ein fotografisches Highlight war ein wolkenfreier Morgen am zentralen Vulkancluster. Hier hatten wir einen herrlichen Blick auf die Vulkane Ushkovsky, Kliuchevskoi, Kamen, Bezymianny und Tolbatschik (Bild unten von links nach rechts). Leider war dies dann unser Abreisetag und wir machten uns auf den Weg zur Südseite des Tolbatschik mit seinen Schlackenkegeln. Natürlich verlief auch diese Fahrt nicht ohne eine Mittagspause in Kosirevsk.
Die Forststraße führte zuerst durch dichten Birkenwald und der Kamaz bahnte sich seinen Weg zwischen Ästen. In Tälern kroch der LKW "knietief" durch zähen Schlamm. Am Tolbatschik bezogen wir eine Berghütte, die bereits oberhalb der Vegetationszone lag. Kurz nach unserer Ankunft zogen bereits wieder Wolken auf und die dominierten das Wetter in den folgenden Tagen. Folglich bekamen wir wenig von der interessanten Landschaft zu sehen und das schlechte Wetter vereitelte auch eine Besteigung des Plosky Tolbatschik. Dafür floss in der Hütte viel "Optimismus" und die zusammengewürfelte Gruppe etablierte sich als eine lustige Gesellschaft. Das ganze glich mittlerweile eher einem Klassenausflug, als einer Trekkingreise. (Video: Statement Florian)
Die Geonauten nutzten jede Regenpause zu kurzen Wanderungen zwischen den Schlackenkegeln. Die Landschaft erinnerte mich ein wenig an Lanzarote, oder an die Laki-Spalte auf Island. Die Schlackenkegel entstanden bei der größten Eruption Kamtschatkas in historischen Zeiten. Das war zwischen 1975 und 1976. Interessant sind dort auch 2 Lavatubes und der Tote Wald: gespenstisch ragen Baumgerippe aus den Flanken einiger Schlackengegel.
Auf der Rückfahrt vom Tolbatschik mussten wir mit unserem Kamaz furten. Auf der Hinfahrt führte der Fluss nur wenig Wasser, doch jetzt, nach 3 Tagen Regen und Schnee, hatte er sich in einen gewaltigen Strom verwandelt. Unser Fahrer fluchte, doch er hatte eigentlich kaum eine andere Wahl, als seinen LKW in die Fluten zu lenken. Er bewies großes fahrerisches Geschick und schaffte es tatsächlich uns sicher ans 300 m entfernte gegenseitige Ufer zu bringen. Allerdings mit einigen kleineren Schäden am Fahrzeug. Unbeirrt setzten wir unseren Weg gen Süd fort, natürlich nicht ohne eine erneute Rast im verhassten Kosirevsk. (Video: Furten)
Unser Ziel war schönes Wetter, dass wir an den Vulkanen Gorely und Mutnovsky nutzen wollten. Am Nachmittag des 2. Fahrtages erreichten wir die Feuerberge. Die Sonne schien und Martin und ich waren begierig darauf den Gorely zu besteigen, doch zu unserem entsetzen steuerte der Kamaz eine Hütte zwischen den Vulkanen an. Zuerst heiß es das Lager zu beziehen. Wir Geonauten waren frustriert, wussten wir doch wie schnell das gute Wetter vorbei sein kann. Nächtliche Testfotos enthüllten sie dann, die lang ersehnte Rotglut: Die Dampfwolke, die dem Krater des Gorely entwich, wurde rot illuminiert. Der Vulkan war aktiv, wenn auch nur auf schwachen Niveau. Mit bloßem Auge war nichts zu erkennen. Trotzdem hieß es am nächsten Tag erst einmal den näher gelegenen Mutnovsky zu besichtigen.
Die Geonauten machten sich mit der Morgendämmerung an den gut zweieinhalb stündigen Marsch zum Krater. Wir wollten jede Sekunde gutes Wetter ausnutzen und nicht warten bis sich die Gruppe nach dem Frühstück auf den Weg machte. Die Caldera des Vulkans präsentierte sich vergletschert. Ein tief eingeschnittener Canyon entwässert die Depression. Am Rande des Eises dampfen Fumarolen; hier koexistiert Wasser in seinen 3 Aggregatzuständen. Wo es so viel Wasser gibt, ist der Untergrund besonders instabil. Erdrutsche verwandeln ständig das Gesicht der Caldera und der Pfad zum Thermalgebiet war verdammt rutschig. Der Pfad endet vor einem Steilstück und einem gut 40 m langem Seil, das als Aufstiegshilfe zum oberen Krater dient. Der Kessel hat einen Durchmesser von gut 200 m und die inneren Flanken sind von Fumarolen durchzogen. Eine bizarre Vulkanlandschaft, die einen Besuch wert ist. (Video Satement Martin)
Ein besonderes Kleinod waren mehrere Eishöhlen, die sich im Resteis in Tälern am Fuße des Vulkans gebildet hatten. Bäche schmolzen sich in das Eis und schufen Tunnelsysteme. An einigen Stellen war die Tunneldecke so dünn, dass Tageslicht durch das Eis schimmerte und Kathedralen aus Licht entstanden.
Am nächsten Tag stand die Besteigung des Gorely an, doch wir Geonauten ahnten schon am Abend zuvor, dass uns ein erneuter Wetterumschwung bevorstand und hielten den Plan für eine schlechte Idee. So war es dann auch! Pünktlich mit Erreichen des Kraters setzte starker Regen ein, der nur wenige Minuten pausierte. Diese Pause nutzten wir, um den glühenden Förderschlot im Krater zu fotografieren. Mit Einbruch der Dämmerung sah auch unser Guide die Sinnlosigkeit des Unterfangens ein und befahl den Rückzug. Der Weg um den Krater hatte sich bereits in eine Rutschbahn verwandelt, dazu das ständige auf und ab durch die Erosionsrinnen: ich bin noch nie so sinnlos so nass geworden! Dann noch die Rückfahrt zum Camp, für 9 km waren wir mehr als eine Stunde unterwegs, aber Respekt an den Fahrer, auch diese Herausforderung meisterte er, denn die Fahrspur hielt einige sehr knifflige Stellen parat.
Als das Wetter 2 Tage später wieder gut wurde, blies die Gruppe zum Aufbruch. Als nächstes Ziel wurden heiße Quellen angesteuert. Prinzipiell bin ich ein Fan von einem Heißwasserbad, aber erst wenn ich mit den Vulkanen fertig bin, was hier nicht der Fall war. Entsprechend schlecht war die Stimmung unter den Geonauten.
Abends ging es dann auf Schatzsuche im Abraum einer alten Goldmine und mein Geologenherz schlug höher. Zwar fanden wir kein Edelmetall, aber unsere gute Laune wieder.
Am letzten Tag ging es dann zurück nach Petrovpavlovsk. Die fotografische Ausbeute dieser lang geplanten Reise war eher bescheiden, trotzdem bekamen wir einen ersten Eindruck von Kamtschatka, dem Land am Ende Eurasiens. Die Reise lehrte mich eines: auf Kamtschatka führen viele Wege nach Kosirevsk.
Stand 2012