Ein erster Blick auf den Pico Pequeno.
Praktisch unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit ereignete sich am Vulkan Pico do Fogo auf den Kapverden eine Naturkatastrophe, in deren Folge über 1800 Menschen obdachlos wurden. Vielleicht war der Zeitpunkt der Eruption schlecht gewählt: in Zeiten, die von Seuchen wie Ebola und dem IS heimgesucht werden, schafft es ein Vulkanausbruch ohne Todesopfer nicht in die Schlagzeilen der Massenmedien. Wir Vulkanier und Geonauten sind dennoch sehr schnell auf diese Eruption aufmerksam geworden. Sie Begann am 23. November 2014 und eskalierte innerhalb weniger Stunden zur Katastrophe. Nur gut 3 km Luftlinie vom Eruptionszentrum entfernt befand sich das Dort Portela. Einige vorgelagerte Häuser lagen noch näher am Vulkan. Eigentlich müsste es "im Vulkan" heißen, denn die Häusersammlung wurde nicht nur am Fuße des Pico do Fogo errichtet, sondern auch noch in der Caldera "Cha des Caldeiras".
Bereits in den ersten Stunden der Eruption floss ein Lavastrom auf das Besucherzentrum der Nationalpark-Verwaltung zu. Das eine Millionen Euro teure Gebäude wurde erst vor wenigen Monaten unter deutscher Leitung fertig gestellt. Einen Tag nach Beginn des Ausbruchs war das Gebäude verloren. Vor Ort erzählte man uns, die deutschen Investoren hätten auf den Standort so nahe am Fuße des Vulkans bestanden. Als wir Geonauten (Martin, Richard und Marc ) den Ort des Geschehens am 30. November erreichten, erinnerte nichts mehr an die Existenz des Hauses. An seiner Stelle thronte ein erkalteter Aa-Lavastrom.
Wir ließen uns gegen 4 Uhr Nachts von einem Taxi in der Caldera absetzten. Zuvor hatten wir Quartier bei Roberto bezogen. Roberto ist Italiener und versorgt die Gäste seiner preisgünstigen Pension Tortuga mit vorzüglichen Fischgerichten. Die Pension liegt direkt am Strand und wurde uns von Kapverden-Spezialisten Christian "Fu" Müller empfohlen. Einzig die Anfahrt entlang der kleinen Mülldeponie trübte ein wenig die positive Erscheinung des Gasthauses. Doch das war weniger relevant für uns, denn wir hatten nur ein Ziel vor Augen: den Vulkan!
Die Fahrt zur Caldera dauerte gut 50 Minuten und als wir ihren Rand passierten, blickten wir sofort auf die Eruption: wabernde Gasschwaden zogen durch den Kessel der Caldera, die durch den Schein der Lava rot illuminiert wurden. Strombolianische Eruptionen stiegen gut 150 m hoch über einen der Förderschlote auf, die sich entlang der Eruptionsspalte am Pico Pequeno gebildet hatten. Als wir den Wagen vor den Absperrungen verließen, erfüllte dröhnender Donner unsere Ohren. Die Geräusche der Explosionen wurden von den 1000 m hohen Calderawänden reflektiert und sorgten mit ihren Echos für eine bedrohlich wirkende Akustik. Wir waren aus 2 Gründen erleichtert: erstens, der Vulkan war noch aktiv und zweitens, waren keine Wachposten anwesend. So marschierten wir denn gleich los Richtung Vulkanausbruch. Nach 25 Minuten hatten wir uns dem Pico Pequeno bis auf gut 300 m genähert. Schnell bauten wir unsere Kameras auf, um die ersten Aufnahmen während der Morgendämmerung zu schießen. Als ich mich auf den Boden setzte spürte ich nach wenigen Sekunden, wie mir der Tremor durch den verlängerten Rücken bis in den Nacken kroch. Nein, die Eruption war noch lange nicht vorbei!
Im Laufe des Morgens wechselte die Aktivität zusehends. Die Strombolianer wurden kleiner und die Schlote förderten mehr Asche. Stärkere Explosionen wurden von meterhohen Gasfackeln begleitet. Besonders fein fragmentierte Asche glühte noch, als sie aus dem Schlot zischte. Nach einigen Stunden machten wir uns auf den langen Weg ins Dorf. Da die Straße durch die Caldera unter Lava begraben war, wurde eine Umgehungsstraße angelegt. Diese führte in einem großen Bogen am inneren Calderarand entlang. Entsprechend weit war der Weg. Zum Glück sind die Einheimischen freundlich und so dauerte es nicht lang, bis wir einen Lift auf der Ladefläche eines LKWs bekamen. Die Männer wollten aus Portela bergen, was nicht niet-und nagelfest war. Nach holpriger Fahrt erreichten wird den Ort, als ein vorgelagertes Haus vom Lavastrom verschlungen wurde. Gnadenlos wälzten die Lavamassen alles nieder, drückten Wände ein und rissen einen großen Teil des Gebäudes von seinen Fundamenten. Wie ein Floß schwamm das gesamte Stockwerk auf der Lava und wurde wie auf einem Fließband abtransportiert. Dieses bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von wenigen Metern pro Stunde Richtung Ortskern, tendenziell nahm die Geschwindigkeit ab. Doch die Lava war nur eine Gefahr die das Leben in Portela unsicher gestaltete. Als sekundäres Phänomen der extremen Hitze über dem Lavafeld, entstanden kleine Tornados. Diese traten spontan und unkalkulierbar auf und verschwanden genauso plötzlich wieder. Eine dieser Windhosen steuerte direkt auf die Geonauten zu, wirbelte ein großes Wellblech eines Hausdaches auf uns zu und schmiss Martins Stativ nebst Kamera und Richards Rucksack um. Uns erwischte nur der Randbereich des Minitornados, doch ich spürte deutlich seinen Sog. Ich konnte zwar schon Tornados über Ignimbrit Felder beobachten, über die pyroklastische Ströme geflossen waren, an einem Lavastrom war mir dieses Phänomen allerdings noch nie begegnet. Ein weiterer Grund für Helmpflicht am Vulkan. Allerdings hatte ich diesmal aus Gewichtsgründen keinen Helm dabei.
Plötzlich herrschte Aufregung in Portela: Sirenen heulten, eine Menge Autos fuhren hektisch umher. Ein Polizist kam im Laufschritt an und teilte uns mit, dass alle das Dorf sofort verlassen müssten. Die Umgehungsstraße drohe von der Lava verschüttet zu werden. So fügten wir uns der Zwangsevakuierung und machten uns auf den Weg zu einem Kraterhügel, ca. 1 km gegenüber der Eruptionsspalte. Es war die höchste Erhebung weit und breit und wir hatten einen Logenplatz um die Eruptionen zu beobachten. Nach nur 4 Stunden Schlaf standen wir am nächsten Morgen wieder vor Sonnenaufgang auf Beobachtungsposition am Pico Pequeno. Wie üblich schaltete der Vulkan sein Programm wechselnder Aktivität durch. Ich postierte mich auf einem kleinen Hügel an der Flanke des Pico do Fogo, ca. 250 m von den Förderschloten entfernt. Als es hell wurde, nahm die Stärke der Eruption zu. Der mir am nächsten gelegene Schlot produziert recht starke Strombolianer, als plötzlich am Fuß des Pico Pequeno ein Lavastrom aus einem Schlot zu sprudeln begann. Was für ein Erlebnis!
Den Nachmittag nahmen wir uns mal frei, um uns ein wenig von den vergangenen Tagen zu erholen. Bereits die Anreise auf die Kapverden und letztendlich zum Fogo hatte 2 Tage in Anspruch genommen, die nur wenig Raum zum Schlafen boten. Total übermüdet zu sein kann am Vulkan fatale Folgen haben. Wenn die Konzentration nachlässt beginnt man Fehler zu machen und die können in der lebensfeindlichen Umgebung eines eruptierenden Vulkans tödlich sein.
Am nächsten Tag war dann höchste Konzentration gefragt, als wir uns dem Lavastrom nähern wollten. Martin preschte wie immer leichtfüßig voran, während Richard und ich doch deutlich auf dem frischen Lavafeld zu kämpfen hatten. Der Boden hier war erst vor ein paar Tagen geboren worden. Oberflächlich war die Aa-Lava zwar abgekühlt, doch aus dem Herzen des mehrere Meter mächtigen Gesteinsstroms stieg eine enorme Hitze auf. Die Luft flimmerte von der Hitze und vulkanische Gase waren allgegenwärtig. Die Lufttemperatur lag hier über 40 Grad. An einigen Stellen stieg besonders heiße Luft auf und man wähnte sich im Vorhof zur Hölle. Doch das eigentliche Problem lag in der Geländebeschaffenheit. Die einzelnen Lavabrocken, aus denen sich ein Aa-Lavastrom zusammen setzt, waren nur lose geschichtet. Mit jedem Schritt musste man damit rechnen, dass sich der Untergrund in Bewegung setzte. Besonders an den Böschungen der Moränen-artigen Wällen und Kanälen, die es zu überwinden galt, drohte man regelrechte Hangrutschungen auszulösen. Ein Sturz würde schnell zu tiefen Schnitt- und Schürfwunden führen, zudem könnte man sich einen Fuß zwischen großen Lavafelsen einklemmen. Das Gelände erwies sich als noch schwerer begehbar, als es vom Weiten ausgesehen hatte. So schlugen wir einen großen Bogen zu einem Haus, das auf einer "Insel" lag, die von dem frischen Lavastrom umflossen war. Für die gut 400 m die wir auf dem Lavafeld zurück gelegt hatten, waren wir 30 Minuten unterwegs gewesen. Über eine Pause waren wir froh. Von unserem Standpunkt hatten wir schon eine gute Sicht auf den Lavastrom, der durch einen Canyon floss. Der Lava-Ausstoß fluktuierte stark. Mal floss der Lavastrom in 3 m Tiefe, dann trat er wieder über die Ufer des Canyons und überflutete das Umland.
Nach der Pause ging es wieder auf das Lavafeld zum Rand des Canyons. Die letzten 100 m führten über Pahoehoe-Lava. Diese war leicht zu begehen, aber noch verdammt heiß. Sie war vermutlich nicht älter als 1 Tag. In den Rissen glühte es in 15 - 20 cm Tiefe. Die Luft war hier zwischen 60 und 70 Grad heiß und wir näherten uns dem Lavastrom bis auf 3 m. Aus dieser Distanz hatte ich den Eindruck, dass die Lava noch schneller floss, als man es vom Weiten vermutet hatte. Die Strahlungshitze war extrem. Nach wenigen Minuten wurden die Füße unangenehm heiß und es roch nach verschmorter Gummisohle. Ein Blick auf meine Stiefel zeigte mir, dass es höchste Zeit für den Rückzug war. An der Ferse begann sich bereits die Sohle zu lösen. Sollte sie hier abfallen wäre das fatal. Der Rückweg zu unserem Häuschen gestaltete sich aber ohne Probleme. Hier warteten wir noch die Abenddämmerung ab. Zum Glück mussten wir im Dunklen nur eine kurze Passage des Lavafelds queren, um wieder altbewährtes Land unter den Füßen zu haben.
An unserem letzten Tag machten wir uns noch einmal auf den Weg nach Portela. In der Nacht war die Lava hier im Eiltempo vorgedrungen und hatte weite Teile des Ortes unter sich begraben. Als wir am späten Morgen dort ankamen, bewegte sie sich kaum noch. Die Stimmung im Ort war bedrückend. Die Katastrophe war in den Gesichtern der wenigen Menschen eingebrannt, die hier noch versuchten ihre Habseligkeiten aus den Trümmern der Häuser zu bergen, die am Rand des Lavastromes lagen. Schon erstaunlich, wie nahe Naturerlebnis und die Schrecken der Naturgewalten zusammen liegen können.
Die Abenddämmerung verbrachten wir wieder auf Beobachtungsposten in Kraternähe. Die Aktivität war zunächst enttäuschend niedrig, steigerte sich aber zu kontinuierlichen strombolianischen Explosionen aus den 2 aktivsten Schloten des Pico Pequeno. Einige gewaltige Donnerschläge schleuderten Lavabrocken bis weit auf die Flanke des Kegels und ließen ihn in rotem Schein erglühen. Von den Wänden der Caldera hallten Echos, die in mir noch lange nachhallten.