Seit Anfang Februar rumort es mal wieder am mächtigsten Vulkan Europas: dem Ätna. Auf gut 3000 Metern Höhe riss an der Flanke des Südost-Kraters eine Spalte auf und unter ohrenbetäubenden Getöse schossen Lavafontänen in den Himmel. Seitdem fließt sie wieder, die Lava. Noch sind keine Ortschaften bedroht, doch jeder fühlt sich an die letzte Beinahe-Katastrophe von 1992 erinnert.
Damals standen die Lavaströme vor den Toren der Ortschaft Zafferana und zerstörten die Sommerhäuser einiger Anwohner. Die Regierung versprach den betroffenen Bürgern schnelle Hilfe, doch die Versprechungen verglühten wie die Obstbäume in den Lavamassen. Gracie Governo, danke Regierung, steht da auf der Wand einer Ruine, die bis zum Fenster in erkalteter Lava steckt. Allerdings wurden viele der Häuser ohne Baugenehmigung errichtet - daß ist halt so, auf Sizilien - und standen viel zu weit oben an der Flanke des 3350 Meter hohen Vulkans. In der Stille der wolkenverhangenen Luft scheint noch das Geknatter der Helikopter zu liegen, die riesige Betonblöcke in den Förderschlot warfen, in der Hoffnung diesen zu verstopfen. Ein Witz! Auch die eiligst errichteten Erdwälle konnten die Lavaströme nicht stoppen. Da musste erst die feuererprobte, heilige Jungfrau, in Form einer hölzernen Statue, eiligst aus dem Nachbarort herbei geschafft werden, um ein weiteres Vordringen der Lava zu verhindern. Wie schon so oft, hier am Ätna.
Und heute? Heute strömt die Lava wieder in Richtung Zafferana. Zwar ist sie noch weit entfernt, am Valle del Bove, und die Vulkanologen am Institut von Catania schauen der Zukunft optimistisch entgegen, dennoch wollen sie die Möglichkeit einer erneuten Bedrohung des Örtchens nicht ausschließen.
"Kaum läßt der Vulkan einen Pfurtz", antwortet uns einer der Geologen auf die Frage nach der Vorhersagbarkeit von Vulkanausbrüchen, "dann kommt Ihr Leute von der Presse und wittert eine dicke Story! Dabei ist der Berg selbst Geschichte und eine spannende dazu. Steckt Eure Nasen lieber ins Archiv, anstatt uns bei der Arbeit zu stören"
Zwar kein bißchen schlauer als zuvor tun wir dies und befinden uns auf einer Reise durch die Zeit.
Schon lange vor der Entstehung des heutigen Ätnas gab es Vulkanismus an der Ostküste Siziliens. Während des Einbruchs des Ionischen Meeres im Pleistozän (vor gut 600.000 Jahren) entstanden dort submarine Vulkane von denen die Inselchen entlang der Zyklopenküste zeugen. Der Vulkanismus wanderte weiter nach Westen und auf einem 1000 Meter hohen Sockel - aus nicht vulkanischen Gesteinen - bildete sich das Fundament des Ätnas. Einer der Vorläufervulkane war der Kegel des Trifogliettos. Dieser stürzte nach einer gewaltigen Bimsstein-Eruption ein und hinterließ das Valle del Bove, jenes ca. 1000 Meter tiefe, sichelförmige Tal, durch das jetzt die Lava strömt. Seit etwa 5000 Jahren entstehen am Rande des Valle del Bove die Schlote des Ätnas wie wir ihn kennen. Der jüngste der vier Hauptkrater ist der im Südosten. Der Beginn seiner Genese geht erst auf das Jahr 1979 zurück, als sich an der Basis des Zentralkraters Risse bildeten. Nur sieben Jahre zuvor befand sich an gleicher Stelle ein unbedeutendes Entgasungsloch einer viel heftigeren Flankeneruption. Über Wochen strömte die Lava und es ereigneten sich heftigste Explosionen, die selbst in weit entfernte Dörfer Schäden anrichteten. Die obere Seilbahnstation wurde ebenso vernichtet wie das vulkanologische Observatorium am "Torre del Filosofo" auf 2900 Metern Höhe. Mittlerweile ist der Südost-Krater zu einem steil aufragenden Schlackenkegel angewachsen.
Seit gut zwei Jahren mehren sich die Meldungen von steigender vulkanischer Aktivität in der Gipfelregion und die Vulkanologen prognostizierten einen größeren Ausbruch, doch keiner vermochte genau zu sagen wann. Mein Vulkan, ein unberechenbares Wesen!
Am 4. Februar dieses Jahres war es dann soweit! Der Südosthang des jungen Kraters platzte wie eine überreife Tomate auf und Lavafontänen schossen in die Luft. Bereits wenige Stunden später änderte sich die Art der Tätigkeit von einer Explosiven in eine weniger gewalttätigen Effusiven. Seitdem fließt die Lava, zumindest aus der Ferne betrachtet, ruhig und regelmäßig. Aus der Nähe gesehen bietet sich ein völlig anders Bild. Die jetzt noch aktive Spalte befindet sich hinter den Absperrungen an der Fumarole, weinige hundert Meter von der kleinen Touristenstation am "Torre del Filiosofo" entfernt.
Die Fumarole ist jener Punkt, bis zu dem sonst die Touristen geführt werden, um einen fernen Blick auf die Krater erhaschen zu können. Sonst wachen die Führer eifersüchtigst darüber, daß niemand die Absperrung überschreitet. Erstaunlicherweise ist jetzt, da der Aufenthalt in der unmittelbaren Nähe zur neuen Eruptionsspalte wirklich gefährlich ist, von Führern keine Spur. Niemand wird daran gehindert auf das noch heiße Lavafeld hinauszukraxeln und bis zu den Lavaströmen vorzudringen. Und da stehen sie dann, die Touristen. Wenige Meter von der rotglühenden Pracht entfernt, an den denkbar ungünstigsten Orten, bereit ihr Leben zu riskieren. Sie verätzen sich die Lungen an heißen, schwefeligen Dämpfen, reißen sich an den scharfkantigen Gesteinsbrocken die Haut auf und verirren sich nachts im Labyrinth aus Wällen und Kerben im frischen Lavafeld. Und wofür? Für einen Blick auf eines der großartigsten Naturschauspiele unseres Planeten; auf einen Teil der Schöpfungsgeschichte und um für kurze Zeit im Mittelpunkt von Dantes Inferno zu stehen. Auch mich überkommt ein Gefühl der Wichtigkeit; Zeuge zu sein bei der Genesis von neuem Land. Überall um mich herum zischen Dämpfe. In der kochenden Luft liegt der unverkennbare Geruch von Schwefelwasserstoff, zu dem sich der Gestank vom schmorenden Gummi meiner Bergstiefel mischt. Endzeitstimmung! Da sind die Anstrengungen des Aufstiegs vergessen und auch der noch bevorstehende 12 Kilometer lange Abstieg auf spiegelglatten Eispisten, denn noch immer ist es Winter am Berg. So kämpfen am Rande des Lavafeldes glühendheiße Gesteinsmassen mit meterhohem Schnee, ein Schauspiel aus zischendem Wasserdampf und dem gläsernen Klirren der Lavabrocken, die sich an der Front des Stroms abspalten und hinunter kullern. Tauwetter und heiße Dämpfe schufen Hohlräume unter der Schnneedecke, eine weitere Gefahr für allzu Neugierige. Ich verliere den Boden unter den Füßen und finde mich, bis zu den Hüften in einem dieser Löcher steckend, wieder und nehme mir vor vorsichtiger zu sein. Zum Glück war es nur die Schneedecke die einstürzte und nicht das Dach einer Lavaröhre, denn das hätte fatale Folgen. Durch Entgasungslöcher in diesen, Tubes genannten, Lavaröhren blicke ich hinab, auf die über 1000 °C heiße Gesteinsschmelze, die da mit ca. 2 Metern pro Sekunde in Richtung Valle del Bove schießt.
Weiter oben am Lavafeld bricht Hektik aus. Florian, ein Geologiestudent aus München, saß gerade zur Brotzeit in der Nähe der Hornitos, als am Fuße dieser schornsteinähnlichen Gebilde ein neuer Lavastrom aus dem Boden drängt. Rotglühend sprudelt der zähflüssige Brei aus der neu geschaffenen Öffnung, kriecht auf uns zu, lässt die Luft flirren. Unsere Gesichter kochen und die Kameras schmoren. Schnell ist der Film belichtet, dann, ein letztes Foto noch und taktischer Rückzug, oder wilde Flucht? Nach nur wenigen Metern verliert die Lava ihren Schwung, bildet silbrig glänzende Schollen auf der Oberfläche, wird 100 Meter weiter unten zur bröckligen Aa-Lava und erstarrt. Ein kurzweiliges Ereignis dass mir jedoch erneut verdeutlicht, auf welch unsicherem und unberechenbarem Terrain ich mich bewege. Und das, obwohl der Berg mit den Messinstrumenten der Vulkanologen gespickt ist. Allein 15 Seismometer horchen auf jede noch so kleine Erschütterung am Berg, Inklinometer messen ständig die Hangneigung und Spektrometer untersuchen Zusammensetzung und Konzentration der vulkanischen Gase. Steigt Magma in dem komplexen Fördersystem des Ätnas auf, erzeugt das gewöhnlich einen Schwarm kleinster Erdbeben, vergleichbar etwa mit dem Wasserhammer alter sanitärer Leitungen. Läuft neues Magma in die schwammartige Magmakammer an der Basis des Ätnas, so quillt der Berg wie ein Hefeklos auf, die Hangneigung vergrößert sich. Unmittelbar vor einer großen Eruption kommt es zur einer plötzlichen Abnahme der Hangneigung, da sich das Magma auf den Weg in das Fördersystem macht. Überdies verändern sich Menge und Konzentration der vulkanischen Gase. Diesmal registrierten die Instrumente keines der üblichen Warnsignale, außer die Erschütterungen zu Beginn der Eruptionen. Der deutsche und in Catania arbeitende Geologe Boris Behncke ist ein Kenner des Vulkans. Aus dem Fehlen dieser Beobachtungen mutmaßt er, dass die jetzige effusive Eruption nur eine Fortsetzung der strombolianischen Dauertätigkeit des Südostkraters ist, welche in den letzten Wochen immer heftiger wurde. Da der Schlackenkegel in dieser Zeit stark an Höhe gewann, änderten sich die Druckverhältnisse im Förderschlot. Schließlich reichte die Kraft für die strombolianische Schlackenwurftätigkeit nicht mehr aus und die Lava suchte sich einen neuen Weg am Fuße des Kegels.
Möglicherweise steht uns also die wirklich große Eruption noch bevor; doch das ist nur eine Spekulation.
P.S.
Im Zeitraum Januar bis August 2000 war der SE-Krater Schauplatz von 66 starken paroxysmale Eruptionen.