21.07.2001: Erster Kontakt
Gegen 12 Uhr erreicht die Fähre Sizilien. Wir haben es geschafft, 2305 km liegen hinter uns. Bereits auf der Autobahn, am Area Servizio Catania stehen wir im Aschefallout. Er stammt aus einer riesigen Eruptionswolke, die von der Montagnola aufsteigt. Dort ereignen sich imposant hörbare Eruptionen, deren Asche die gesamte Region um Catania bedeckt.
Unser Sturm auf den Berg endet vorerst kurz hinter Nicolosi an einer Straßensperre. Mit einem effizienten Großaufgebot an Leuten ist der Berg für alle gesperrt, die keine Sondergenehmigung haben. Und wo bekommt man die? Schulterzucken bei den Carabinieri. Kommune Nicolosi. Ah ja. Na mal sehen, ob die im Rathaus was wissen. Tatsächlich, im Municipio ist eine Sonderstelle eingerichtet. Hier kommen wir sehr schnell und unkompliziert zu unseren Permits. Kompliment an die Sizilianer.
Rechtzeitig zum besten Licht schnaufen wir die Piste zum Rand der Monte Silvestri hinauf, bis wir dann der unteren Spalte direkt gegenüberstehen. Rot pulst die Lava in einer feurigen Fontäne in den Himmel. Unter lautem Getöse nährt sie einen breiten Lavastrom. Ein höllisches Inferno, dessen Intensität sich tatsächlich im Laufe des Abends steigert. Langsam gewinnen wir Abstand. Nie hätte ich gedacht hier am Ätna eine Spalteneruption mit Lavafontäne zu erleben und schon gar nicht direkt neben Sapienza.
Rotleuchtend schiebt sich das Band aus flüssigem Gestein talwärts. Wir folgen der Lava nach Nicolosi. Hier feiert das Volk eine laute Party, unterlegt vom lauten Grollen des Vulkans wird gepicknickt und das Spektakel aus der Ferne beobachtet.
22.07.2001: Molto pericoloso
Kaum an der Seilbahnstation angekommen stellt sich das nächste Problem. Trotz unserer Permits dürfen wir nicht an die Spalte auf 2100 m und schon gar nicht nach oben. Als wir trotzdem gehen, schleift uns ein wichtiger Corpo Forestral an den Ohren zurück. Molto pericoloso!! Kein off-limit- Permit, kein Lavastrom!?! Das ist kein Vulkan, das ist eine Festung! Ab jetzt arbeiten wir nach der Methode "Täuschen und Tarnen". ...
Wir umfahren den Lavastrom und stehen bald am Fuße des Monte Superiore direkt an seinem Rand. Breit und träge wälzt er sich über die Straße, um dann über den Hang Kurs auf Nicolosi zu nehmen. Der Wind trägt die aufgeheizte Luft zu uns herüber. Nahezu auf seiner ganzen Breite von ca. 250 m ist der Strom im Bewegung. LKW fahren eilig hin und her, schütten Wälle an den Seiten auf, die die Lava lenken sollen. Einen Imbiss hat es teilweise verschüttet, ein Restaurant ist in Gefahr. Von hieraus muss die Sicht abends spektakulär sein.
Pünktlich um 19.00 Uhr wagen wir uns hinter dem Monte Superiore ins Eruptionszentrum. Schon bald stehen wir am Lavastrom. Vor uns die Spalte, aus der rot die Lava dringt. An der Spitze eine Lavafontäne. Ein beeindruckendes Bild, nur getrübt von den Gaswolken, die der Wind vom Lavastrom zu uns herübertreibt. Zwischen den Schwaden hindurch lässt es sich nicht gut filmen. Wir wollen gerade aufgeben, da dreht der Wind. Kurzfristig stehen wir mit Gasmasken inmitten der Wolke. Und schon ist der Spuk vorbei, der Wind hat gedreht, die Fontäne ist frei. Nur schade, dass es mittlerweile so dunkel ist. Warum werden dann meine Belichtungszeiten immer kürzer? Wird es heller? Die Stärke der Eruption steigert sich, erst unmerklich, dann immer deutlicher. Schließlich ist es fast taghell. Hoch und höher schießen die feurigen Garben in den Himmel, fördern Nachschub für den Lavastrom, der nun auf ganzer Breite rotglühend in Bewegung ist. Nicht etwa langsam, zäh, wie bei Ätna-Lava üblich, sondern mit deutlichem Vorschub. Als mir die Eruptionen zu heftig werden, ziehen wir uns zurück. Hinter uns erhellen die Eruptionen den Weg. Je weiter wir gehen umso größer werden sie. Taschenlampen brauchen wir nicht. Am Monte Superiore schauen wir zurück auf den Feuerspuk. Die Fontäne ist jetzt bestimmt dreimal so hoch. Das tiefe Grummeln im Untergrund lässt uns aufhorchen. Schon vorher hatte ich den Tremor im Stativ gespürt. Lava steigt aus dem Untergrund auf, das Zeichen zum Aufbruch. Wir wollen das Spektakel aus gebührendem Abstand weiter beobachten.
23.07.2001: Warnschuss
Um 3.00 Uhr stehen wir auf um die Montagnola zu stürmen. Doch überall herrscht rege Bautätigkeit. Bagger und Raupen graben Abflussrinnen für einen Lavastrom, der von der Montagnola den Seilbahnhang auf Sapienza herunterkommt. Schlecht für uns. Alle paar Meter stehen wir vor hohen Wällen und Raupen, die uns zwingen eine andere Richtung einzuschlagen. Schließlich geben wir auf, laufen über die Piste. Hier ist merkwürdigerweise kein Mensch. Doch es wird bereits hell. Als wir die Stelle erreichen, an der der Lavastrom die Piste erreicht, steht fest, das uns dieser Strom abschneiden wird. Wir müssen uns Gedanken über einen anderen Rückweg machen. In diesem Moment knallt eine Eruption wie ein Kanonenschuss. Sekunden später kündigt sich eine vulkanische Bombe laut durch die Luft pfeifend an. Hektisch suchen wir den Himmel ab, aber das Geschoss ist dunkel, nicht zu sehen. Nur das Geräusch verrät, das es näher kommt. Mit großer Wucht schlägt 8 m vor uns eine 30 cm große Bombe ein. Eine einzige auf dem gesamten Weg, quasi direkt vor unseren Füßen. Sowohl vorher, als auch nachher gehen hier noch nicht einmal Lapilli nieder. Das war ein Warnschuss! Entsetzt beschließe ich umzukehren und heute etwas ungefährlicheres zu machen.
24.07.2001: Feuriges Spektakel
Wir suchen die Front des Lavastroms, der mittlerweile über die flache Ebene, ca. 5 km vor Nicolosi kriecht. 7 bis 8 Meter hohe Raupenketten bröckeln durch die Botanik, setzten hier und dort die Vegetation in Brand. Nur knapp entgehen wir den Löscharbeiten eines unermüdlich kreisenden Löschhubschraubers und eines Löschflugzeugs. Das wäre eine "doccia grande con schiuma".
Die unschlagbare Fernsicht am Nachmittag nutzen wir, um eine Totale über den Berg und die Aschewolke von Taormina zu bekommen. Der Blick von der Piazza ist sehr beeindruckend. Noch beeindruckender sind jedoch die Lavafontänen, die sich nach Einbruch der Dunkelheit zeigen. Von der Spitze der Montagnola schießen sie mehrere hundert Meter in den Himmel. Mannsgroße Brocken werden quer über das gesamte Gipfelplateau geschleudert. Wir nehmen an, dass das der Magmanachschub ist, der sich bereits gestern durch erhöhte Seismik angekündigt und in der deutschen Presse für wilde Spekulationen gesorgt hat. Vom astronomischen Observatorium aus beobachten wir, wie der Vulkan seine heiße Fracht in den Himmel bläst. Die Seilbahnstation vor der Montagnola wirkt dagegen winzig. Wie lange sie den Beschuss noch aushalten wird?
26.07.2001: Montagnola / Sapienza in Gefahr
Um 2.00 Uhr starten wir den X-ten Versuch die Montagnola zu entern und einen Blick auf die Spalte auf 2500 m zu werfen. Auf dem Seilbahnhang ist ein neuer Lavastrom auf dem Weg hinunter nach Sapienza. Er ist bereits unterhalb der oberen Seilbahnstation, vor der dunkle Rauchwolken aufsteigen. Die Lavafontäne des Eruptionszentrums Laghetto vor Augen steigen wir höher. Imposant donnernd steigen 400 Meter vor uns Salven glühenden Gesteins in den Himmel. Wir kommen über eine Kuppe und da liegt der neue Krater, etwa dort wo vorher die Straße zum Valle del Bove war, vor uns. Aus einem 40 Meter hohen Schlackenkegel schießen 3 Boccen abwechselnd Lava. Vor uns prasseln die Bomben auf den Kraterrand. Aus der rechten Seite fließt die Lava durch eine Bresche aus, bildet den Strom, den wir weiter unten getroffen haben. Was für ein Inferno. So viel entfesselte Naturgewalt habe ich noch nicht gesehen, die Entstehung eines neuen Parasitärkraters, wie es sie am Etna zahlreich gibt. Wir steigen auf eine alte Rippe des 1985 er Lavastroms. Da glüht doch was? Aus der Spalte am Rand des Valle del Bove auf 2700 m quillt ein Lavastrom, der bereits die alte Seilbahnstation erreicht hat. Mit für Aa-Lava großer Geschwindigkeit kommt er auf uns zu. Masken schützen uns vor seinem heißen Atem. Wir wandern am Lavafluß entlang. Als es Hell wird, können wir das ganze Ausmaß des Ausbruchs überblicken. Das gesamte südöstliche Gebiet zwischen Montagnola und den Hauptkratern ist von frischen Lavaströmen bedeckt. Alle aktiv, alle in Bewegung. Weg, Straßen, Lifte nichts wurde verschont, sogar Jesus an seinem Kreuze nicht. Nur die Ruine der Schutzhütte am Torre del Filosofo ragt trotzig aus dem Inferno. Weiter oben, am Fuße des SE-Kraters machen wir eine weitere Spalte aus. Auf ihr ein kleiner Cone mit strombolianischer Tätigkeit.
Um 17.00 Uhr hat der Lavastrom, der uns letzte Nacht bei unserem Aufstieg auf dem Seilbahnhang begegnet ist, Sapienza erreicht. Mit unheimlichem Tempo füllt er die, in der vergangenen Tagen geschaffenen Rückhaltebecken eines nach dem anderen. Dank der Erfahrung der Leute hier gelingt es, den Strom in einem Bogen um Sapienza herum in die Talsenke zu leiten. Wir geben ihm noch 2 bis 3 Stunden bis zur Straße. Zeit die wir nutzen wollen um endlich etwas zu Essen.
Pünktlich zum Einbruch der Dämmerung steht der Lavastrom vor der Straße und pünktlich zum ersten rollenden Stein, treffen auch wir wieder ein. Langsam, wie in Zeitlupe, knicken Laternen, gehen Lifte und Buden in Flammen auf, schiebt sich die 7 m hohe Front auf die Straße. In fieberhafter Eile hingegen arbeiten Bagger und Raupen, schütten Wälle aus Material, das gerade greifbar ist auf. Mauern, Asphalt und Leitplanken alles wird zum Bollwerk gegen die Lava, die sich fügt und in der geplanten Schneise die Straße überquert. Erst von Weitem erfasst man die Dimensionen des Spektakels. Rot glühend umklammert die rote Schlange dem gesamten Hang. Darin, wie Spielzeug, die kleine Ansiedlung, wo Menschen, wie geschäftige Ameisen, ihr bestes geben, um ihre Welt zu retten.
28.07.2001: Zweite Visite
Diesmal wollen wir bis zum Monte Supino, oder zum Torre del Filosofo. Doch oben, in den losen Aschen der SE-Paroxysmen, wird das Vorwärtskommen mit dem Schweren Gepäck mühsam. Zur blauen Stunde stehen wir am Supino und müssen das beste Licht von hier aus nutzen. Doch Laghetto hat noch einiges vor. Sein Schlackenkegel ist in den letzten Tagen imposant gewachsen. Wir schätzen ihn auf fast 100 Meter. Plötzlich ein Knall. Im Kegelrand öffnen sich zwei Schlote nach SW, genau auf uns zu. Brocken fliegen über den Hang, doch wir sind weit genug entfernt. Riesige Eruptionen, fast schon in eine konstante Fontäne übergehend, schießen mit Urgewalt in den Himmel. Die Druckwellen erschüttern unsere Mägen und Stative. Doch bald fordert die Kälte ihren Tribut. Die Nacht verbringen wir zusammen mit Anita und Chris, nicht weit von den Eruptionen entfernt. Um uns zu wärmen graben wir heiße Lavabrocken in die feinen Aschen ein und legen uns schlafen.
30.07.2001: Das Glück ist mit den Dummen
Am Fuße des Eruptionszentrums auf 2100 m herrscht großer Auftrieb. Da läuft ein ganzer Reisebus, Kamera, Stativ, Mikrofon, ein Kamerateam. Gerade habe ich mich aufgebaut, da stürmt die Meute an uns vorbei. In weißen T-Shirts und dünnen Blusen direkt zur Lava, auf den Lavastrom? Ein Stück die Spalte hoch? Ohne Helm, nur im T-Shirt! Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich nicht träume, da beweißt mit lautes Trillern und wildes Schreien, dass es nicht so ist. In heller Aufregung nähern sich zwei Uniformierte der Corpo Forestral. Obwohl mich diese grün gekleideten Menschen schon so manches Mal mit ihren restriktiven Schutzmaßnahmen genervt haben, heute haben sie eindeutig Recht. Dazu kann ich nur Beifall klatschen. Wie kann man nur so dumm sein? Das, wie sich jetzt herausstellt, amerikanische Fernsehteam tut überrascht. Wieso gefährlich? Diese Frage beantwortet der Vulkan umgehend selbst. Eine Eruption lässt Steine regnen. Erstaunen bei den Amis. Durch dieses grobe Fehlverhalten müssen nun alle gehen, auch wir.
31.07.2001: Torre del Filosofo
Wir haben es uns in den Kopf gesetzt, doch noch zur oberen Spalte am Fuße des SE-Kraters vorzudringen. Nach mehreren Stunden Aufstieg stehen wir vor einer säuberlichen Kegelreihe. Die Spalte verläuft durch den SE-Krater, durch Sudestino bis zu einem Lavastrom, der aus einem kleinem Hornito austritt. Wir laufen weiter zur Schutzhütte am Torre del Filosofo, die wie ein Wunder noch steht. Die Lava hat es vorgezogen 150 m weit an der Hütte vorbeizufließen. Von hieraus sehen wir das erste mal, wie deutlich dieser Ausbruch den Berg verändert hat. Vor uns der Cone des Laghetto vor der Montagnola, davor, auf der Spalte, dampfende Hornitos. Weiter östlich, auf 2700 m ein weiterer, kleiner Kegel auf der Spalte. Ein völlig neuer Etna liegt vor uns.
Jeeps sind unterwegs. Überall stehen Gruppen von Leuten. Wie sind die wohl alle hier heraufgekommen? Im Hintergrund des Laghetto entflammt das Lichtermeer Catanias. Der Mond geht auf und taucht die Landschaft in fahles Licht. Fast sieht es aus, als greife die dunkle Aschewolke nach unserem Erdtrabanten. Nur schwer können wir uns von diesem Anblick lösen, doch vor uns liegt noch ein langer Rückweg. Während wir über Ätna-Nord absteigen kommen immer mehr Jeeps den Berg herauf, darunter auch viele Privatfahrzeuge, die sich einen Netten Abend am Vulkan machen. Die Straße von der Nordseite des Ätnas ist auf. Von wegen Gipfel gesperrt und "molto pericoloso". Fährt hier jeder herum, dessen Auto die Piste schafft!?!
Zum Abschluss muss ich noch allen Beteiligten am Ätna ein großes Lob aussprechen. Sicherheitskräfte, Verwaltung, Wissenschaftler, die Mitarbeiter der SITAS und alle anderen haben einen super Job gemacht; haben alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft und gearbeitet bis zum Umfallen; haben sich nie entmutigen lassen und waren trotz manch stressiger Situation immer freundlich. Kompliment!! Trotzdem hätte man besser mit den ausländischen Medienvertretern zusammen arbeiten können. Ausländische Journalisten hatten am Berg keine Chance sich den interessanten Stellen zu nähern. Einzig die Kameraleute von RAI wurden in Jeeps über Ätna-Nord hinaufgebracht. Spielten hier etwa exklusive Bildrechte die Rolle?