Tief unten in einem kleinen Pitkrater wird er, vermutlich durch einen direkten Zugang zum Magmenreservoir, gerade so am Köcheln gehalten.
Auch uns zieht dieser Feuersee an, dafür nehmen wir eine strapaziöse Reise ans Ende der Welt auf uns. Ein Jahr lang haben wir geplant, kalkuliert, recherchiert und wieder neu geplant.
Äthiopien ist ein Entwicklungsland und politisch, mit seinen vielen Stämmen, nicht wirklich stabil. Die Bürokratie verläuft langsamer als jeder Leser es sich vorzustellen vermag und Infrastruktur ist über große Landesteile einfach nicht vorhanden. Trotz der Landschaftlichen Reize, die Äthiopien durchaus in Hülle und Fülle zu bieten hat, ist das Land meilenweit davon entfernt ein Reiseland zu sein.
27.11.2002: Asaita die Hauptstadt der Kalaschnikows
Der Morgen graut; munter springen die Ziegen durch unser Pritschenlager. Da den Fahrern die Übernachtung in einem Zeltcamp zu gefährlich erschien, wurden wir gestern abend im Hof einer Eselstreiberkaschemme, auf flohverseuchten Drahtbetten einquartiert. Den versuchten Besuch auf dem Klo werte ich als Anschlag auf mein Leben. Das Frühstück nehmen wir heute in einem Etablissement mit Lokalkolorit ein.
Im Streckschritt geht es durch das Dorf. Warum nur vermittelt uns Kedir, unser Führer, immer wieder das Gefühl, vor einer unsichtbaren Bedrohung flüchten zu müssen? Er will uns so schnell wie möglich von der Straße haben, während er eines der zahlreichen, unbedingt notwendiger Permits besorgt. Die Stockhütte, in der Hühner in einer übergroßen Mad-Max Satelitenschüssel nisten, erweist sich als echt authentisch. Die Sonne treibt ihre Lichtbalken durch das Flechtwerk. Im Zwielicht sitzen wir auf geflochtenen Ziegenhautbänken, als auf großen Platten Omelett und ein frisches Brötchen serviert wird. Die Luft ist geschwängert vom Rauch der offenen Feuer. Kaffee wird geröstet und von einem Mädchen in einem schweren Mörser zerstampft. So entseht das aromatische Gebräu, das uns in winzigen Tassen serviert wird. Die Zeit verstreicht und wieder warten wir auf ein Permit und warten und warten. 11/2 Liter Wasser später verlassen wir eigenständig, in Kleingruppen den uns zugewiesenen Warteplatz, um das Dort zu erkunden. Wieder erleben wir nur nette, freundliche Leute. Einige lassen sich mit gewissem Stolz sogar bereitwillig mit ihren Kalaschnikows von uns ablichten. Die trägt man hier scheinbar so selbstverständlich, wie bei uns eine Handtasche. Ich frage mich, ob nur eine dieser abgerissenen Gestalten das Geld für die Munition hat. Merkwürdig ist auch, dass unser Jeep ständig, vollbesetzt mit bärtigen Bin Laden-Typen die Hauptstraße auf- und abkachelt. Die wollen wohl alle mal Autofahren.
Um 12.00 Uhr sind die Afar-Häuptlinge dann wohl endlich genug im Kreis gefahren und haben es geschafft, einen Stempel auf ein Blatt Papier zu machen. Nun muss nur noch eine Vertretung für den Knarrenmufti aufgetrieben werden, der uns von nun an beschützen soll. Er heißt - welche Überraschung - Mohamed. ....
29.11.2002: Der heißeste Platz der Erde hat einen Schlagbaum.
Wieder sitzen wir im Jeep und schleichen mit 30 bis 50 Sachen über besten Asphalt, bis zu einer Kreuzung, die für die Fahrer die Pforte zur Hölle zu sein scheint. Wie von einem imaginären Bungee zurückgehalten, werden sie mit jedem Kilometer hinaus in die Danakil-Senke langsamer. Und dann stehen wir, wie an einer Staatsgrenze, vor einem Schlagbaum. Endlich brauchen wir eines unserer, unter nervigsten Bedingungen erworbenes Permit. Wir sind drin. Hier beginnt die Danakil. Eine Pistenautobahn schlängelt sich über schwarze Klippen. Flankiert von den riesigen Bruchstufen des Rifts türmen sich spröde Basaltdecken bis zum Horizont. Größer könnte der Kontrast zum grünen Hochland nicht sein. Dies ist das Land der Afar. Gut getarnt kauern sich die domförmigen Flechtzelte auf den heißen Fels. Kleinsippen mit ihren Tieren ziehen nomadisierend durch ein Land, das leerer und lebensfeindlicher kaum sein könnte. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die "mordlüsterne Bande" ganz andere Probleme hat, als unverhofft auftauchende Touristen und vor allem ihre vor Angst schlotternden Fahrer abzuschlachten.
Hier und da, am Wegesrand, steinerne Grabmonumente, Türme von Menschenhand geschaffen, in der Wüste zurückgelassen. Spröde klirrt das Gestein unter dem Gewicht der Jeeps, zerbirst in feine Scherben. Ein Obsidiandom hat sich in die sonst so eintönige Gesteinswelt geschlichen.
Tiefer und tiefer dringen wir in die Eingeweide der Geburtsstätte eines neuen Ozeans vor, tauchen ab unter den Meeresspiegel, bis wir bei -100 m die Beckenfüllung aus Anhydriten erreichen. Gesteine, entstanden als der Ozean, der einst von der Senke Besitz ergriffen hatte, unter der unbändigen Hitze der Sonne verdampft ist. Neben uns der über 1000 m hohe Afrera-Vulkan, ein Zwitter aus einem flachen Schild, gekrönt von einer Rhyolithspitze. Eine markante Landmarke, die uns den Weg weist. Vor uns liegt der Steilabbruch zum Lake Afrera, eine türkisfarbene Lagune mit palmenbestandenen Ufern. Der einzige Ort hier ist die Salzverladestation Afrera, wo wir einen zweiten Afarführer aufsammeln sollen. Zielstrebig fahren unsere Leute uns ins erste Gefängnis am Platz.
Noch bevor wir wissen, was geschieht, sitzen wir hinter meterhohen Stacheldrahtzäunen, bewacht von unangenehm bewaffneten Ayatollahs in Röcken, im Dreck eines Gebäudes und werden angewiesen uns ruhig zu verhalten. Es handelt sich um die hiesige Polizeistation, in der wir nun in Sicherheitsverwahrung sitzen. Jeglichen Ausgangs untersagt, dürfen wir nur mit Eskorte auf die Toilette, die uns unter Waffen zur nächsten Palme geleitet. Irgendwie wird mir nicht ganz klar, ob wir hier inhaftiert, oder beschützt werden sollen. Wilde Gerüchte machen die Runde, über marodierende Räuberbanden aus Eritrea. In Wahrheit geht es nur darum, dass die Dorfälteste den besten Preis für die Genehmigung unserer Weiterreise herausschlagen wollen. Denn weiter müssen wir. Übermorgen bei Sonnenaufgang steht das Rendezvous mit dem Heli an, der uns 50 km von hier entfernt auflesen und auf den Erta Ale fliegen soll.
Mit Einbruch der Dunkelheit wird uns ein Platz hinter dem Haus zum Übernachten zugewiesen. Noch immer ist nicht klar, ob wir morgen unsere Reise fortsetzten dürfen und welchen Preis wir dafür zu zahlen haben. Mit der Dunkelheit setzt auch ein heftiger Sandsturm ein, der einem das Biwak im Dreck doch extrem verleidet. In kürzester Zeit sitzt der Dreck in allen Körperöffnungen. Mit Staubmaske habe ich auch noch nie schlafen.
31.11.2002
Nachdem ich mühselig den Dreck aus Ohren, Nase und sämtlichen Klamotten geklopft habe, muss ich angeekelt mitansehen, wie eine schwarze, wabernde Schicht, bestehend aus Fliegen, sich über das Frühstück hermacht. Angesichts einer solchen Übermacht fällt es mir nicht schwer, mich auf eine Orange zu beschränken. Sie bietet ein sehr eingeschränktes, zu verteidigendes Territorium. Zwar dürfen wir nach dem Frühstück unser Gefängnis verlassen, die Forderungen der Dorfältesten sind jedoch so astronomisch, dass selbst ihnen klar sein müsste, dass sie nicht zu erfüllen sind. Für 9 Reisende schweben ihnen 15 zusätzliche Bewaffnete vor, die wir mit auf den Vulkan schleppen und sie oben 7 Tage versorgen sollen. Wie stellen die sich das vor? Wasser für zusätzliche 15 Leute; wir sind froh wenn der Heli genug für uns selbst wegschleppen kann. Kedir und Chris versuchen zu verhandeln, doch die Afar-Muftis glauben uns mit den Heli-Rendezvous im Griff zu haben. Doch bald schon müssen sie lernen, dass ihr Dorf jetzt über einen Telefonanschluß verfügt. Per Satellitentelefon machen wir einen neuen Termin mit der Luftunterstützung. Wir treten den Rückzug nach Makale an. Hier herumzusitzen und auf die Einsicht bewaffneter Moslems im Ramadan zu warten, kann uns nicht weiterbringen...
Die nächsten zwei Tage verbringen wir im Jeep auf dem Weg nach Makale, wo wir auf den Heli treffen.
03.01.2002: Und er fliegt doch
Noch auf dem Weg zum Flugfeld habe ich so meine Zweifel, ob wir denn auch wirklich in den nächsten Stunden den Erta Ale erreichen werden. Und dann steht es vor uns, das technische Meisterwerkt des Kommunismus, zumindest vor 30 Jahren. Ein vertrauenserweckend grüner Mil Mi 17, ein Oldtimer der Lüfte. Wenn dieser Schrotthaufen nur halb so gut fliegt, wie er laut ist, könnten wir ankommen. Auf Chris gewohnte Panikattacke hin, beladen wir das Ding mit fliegenden Gepäckstücken. Unzählige Wasserkanister, unser gesamtes Gepäck und 11 Leute finden Platz in der Wuchtbrumme.
Neugierig laufen wir zum Krater, dessen Durchmesser etwa zur Hälfte vom Lavasee eingenommen wird. Der schartige Rand, auf dem wir uns bewegen und vorsichtig versuchen Blicke auf das Inferno zu erhaschen, hängt auf ganzer Strecke brüchig über. Rostige Harken zeugen von den Mühen früherer Expeditionen. Etwa 80 m unter uns wallt frische Lava, dringt rot aus der Tiefe auf und verkrustet alsbald zu einer schwarzen Haut. Immer wieder, den Gesetzten der Konvektion folgend, bricht die Oberfläche auf, wandern schwarze Schollen wie Kontinente als Bruchmuster über den See, Plattentektonik en miniature.
Als das Quecksilber am späten Nachmittag unter die 40° C Marke fällt, machen wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Abseilstrecke. Ideal ist das Gebröckel aus Lavaströmen nicht, dazu hängen die Wände zum Krater hin über. Wir entscheiden uns für eine der flachsten Stellen im Rand. Von hier aus sind es etwa 40 m bis auf die Terrasse und von dort noch einmal so tief bis zum Lavasee. Sollten es nicht mindestens 60 m bis zur Terrasse sein? Und auch von einem Schuttkegel ist auf der Terrasse nicht die Spur. Im Gegenteil, sie sieht aus wie blankgeputzt. Seit der letzten Expedition im Frühjahr 2002 muss der Lavasee angestiegen sein, die Terrasse überflutet, und angehoben haben. Das erschwert den Zugang zur Lava, um eine Probe zu nehmen immens.
Noch lange sitzen am Abend alle an der Kraterkante und beobachten das Spektakel in der Tiefe. Mit Einbruch der Dunkelheit leuchten die brodelnden Ränder und Risse hellrot auf, lecken feurige Zungen am Gestein. Immer wieder tanzen kleine Lavafontänen über die Seeoberfläche. Dies sind die Momente, in denen die Verschlüsse der Fotoapparate klicken. Über dem dunklen Abgrund ziehen, wie in einem gigantischen Karmin, die rot beleuchteten Gase in den sternenklaren Himmel.
In den nächsten Tagen erkunden wir den Vulkan, und richten eine Abseilstrecke vom Kraterrand auf die Terrasse ein. Doch auch von hieraus scheitert der erste Versuch eine Lavaprobe zu nehmen.
Für heute ist noch einmal ein Versuch geplant doch noch eine Lavaprobe aus dem See zu angeln. Diesmal will Marc die Aktion aus der Nähe filmen. Alles ist genaustens besprochen, wer wo filmt und an welcher Stelle Fotos gemacht werden sollen. Also steigen Marc und Chris in den Krater ab. Gerade als sie mit der Arbeit beginnen wollen, brechen über dem Lavasee vereinzelt Steine aus der Wand. Insoweit nichts Ungewöhnliches, denn zu Steinschlägen ist es bisher immer wieder gekommen. Doch heute folgt den Einzelsteinen die ganze Wand. Wie ein Vorhang aus Staub und Steinen rauschen 15 m Kraterrand in die Tiefe, wo sie von der glühenden Lava gierig verschlungen werden. Im ersten Moment hocherfreut über das unerwartete Spektakel, packt mich nur wenig später blankes Entsetzen. Um zu sehen, was passiert, sind Marc und Chris zum Terrassenrand gelaufen, wo sie jetzt oberhalb des Sees, in der Nähe der Wand stehen. Ausgerechnet in dieser Richtung bricht nun ein zweiter Teil der Kraterwand weg und gleich darauf noch einer.
Die Abbrüche setzten sich genau in unsere Richtung fort. Bald ist der Krater angefüllt von einer gigantischen Staubwolke, die Marc und Chris einhüllt. Adrenalin schießt durch meine Adern. "Weg von der Wand!" brülle ich in das Chaos und sehe die beiden laufen wie beim Olympiafinale. Auch wir, oben auf der Kante sind hier nicht mehr sicher, die abgegangene Masse fehlt als Wiederlager. Spalten klaffen unter unseren Füßen. Zur Sicherheit ziehen wir ein Seil rauf und uns von der Kante zurück. Vom ersten Schock erholt, beschließen Chris und Marc doch noch einen Versuch zu unternehmen eine Probe zu entnehmen. Wieder steht Chris im Spaceblanket an der Kante und versucht den Probennehmer in den See zu werfen und wieder schafft er es nicht. Schließlich gelingt es ein Stück frische, jedoch bereits erkaltete Lava zu angeln. Immer noch bröckeln vereinzelt Steine aus der Wand, jetzt auch nahe der Abseilstelle. Als dann das Signal zum Abbruch kommt, bricht bei und oben das absolute Chaos aus. In dem Bewusstsein, jetzt schnellstens die beiden herauszuholen, damit sie sich möglichst kurz im Gefahrenbereich befinden geht schief was schief gehen kann. Wertvolle Minuten vergehen, Minuten in denen die Anweisungen von unten immer panischer werden. Erst als wir Marc über die Kante helfen, hat sich wieder so etwas wie ein Arbeitsrhythmus eingestellt. Auch Chris entrinnt heile dem Höllenloch, dann ist die Abseilaktion beendet. Schnell ziehen wir uns aus dem absturzgefährdeten Bereich zurück, der immer noch steht als uns der Hubschrauber am nächsten Morgen wieder in die Zivilisation zurückfliegt.