Die Vulkanauten Thorsten, Marc, Martin und Richard.
Ankunft auf Sumatra
Am Flughafen von Medan wurden wir von Iwan in Empfang genommen. Er bewies sich als vierschrötiger Kerl mit ausgeprägtem Geschäftssinn: freundlich und scherzende, aber auch bestimmend. Er ließ sofort durchblicken, dass seine Volksgruppe von Kannibalen abstammte, die müheselig Christianisiert wurden. Na dann, gutes Gelingen!Die 80 km lange Fahrt vom Flughafen nach Berastagi am Fuße des Vulkans dauerte gut 3 Stunden. Dies war nicht dem Umstand zu verdanken, dass die Straße schlecht gewesen wäre, sondern dem mörderischen Verkehrsaufkommen. Nach den ersten Kilometern schaute ich mich verzweifelt nach Anschnallgurten im Minibus um, doch leider ohne Ergebnis. Ich schätzte die Wahrscheinlichkeit eines Verkehrsunfalls mit Todesfolge hier deutlich höher ein, als am Vulkan in einem pyroklastischen Strom zu verglühen. Kurz gesagt, die Sumatraner fuhren wie die letzten Henker, oder halt wie Kannibalen auf Urlaub.
Sumatra assoziierte ich immer mit der Wildnis undurchdringlicher Urwäldern, wilden Tieren wie Uran Utas und der gewaltigen Caldera des Lake Toba. Letztere bekam ich während meiner Reise zum Vulkan Sinabung tatsächlich kurz zu Gesicht, doch was die Wildnis anbelangte wurde ich auf Nordsumatra enttäuscht: ein Dorf ging fast nahtlos in das Nächste über und der tropische Wald wich landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die Hänge des Vulkans Sinabung waren fast bis auf halber Höhe bewirtschaftet. Seit Beginn der Eruptionen wurden mehr als 26.000 Menschen evakuiert. Sie lebten in einem Radius von 5 km um den Vulkankrater. Nun befanden sie sich in Evakuierungszentren und lebten unter einfachsten Umständen in Zelten und öffentlichen Hallen. Die hygienischen Umstände in den Lagern waren zweifelhaft. So starben hier 11 Menschen an Infektionen, die sie sich in den Lagern zugezogen hatten.
Kaum in Berastagi angekommen luden wir unser Gepäck im Hotel ab und machten uns auf dem Weg zum Vulkan. Iwan fuhr uns bis an die Grenze des Sperrgebietes, wo auf einer zugemüllten Wiese Volksfeststimmung herrschte. Hier hatten sich nicht nur die einheimischen Pressefotografen postiert, sondern es pilgerten auch zahllose Schaulustige auf die Wiesen. Oktoberfeststimmung auf Indonesisch. Leider hüllte sich der Vulkan in Wolken und zeigte sich von seiner ruhigen Seite. Von der Wiese aus konnte man leicht bergab schauen und wir machten einen guten Beobachtungspunkt auf einem vorgelagerten Hügelrücken aus. Diesen wollten wir noch besichtigen, doch Iwan weigerte sich weiter ins Sperrgebiet vorzudringen, obwohl dort noch ein reges Treiben herrschte. Also pilgerten wir zu Fuß los.
Erster Blick auf den Sinabung
Tatsächlich konnten wir vom Hügel aus direkt auf das Ignimbrit-Feld blicken, lagen aber auch in direkter Verlängerung der Fließrichtung der pyroklastischen Ströme. Zwar knickten diese in gut 2 km Entfernung vor unserem Aussichtshügel nach Westen ab, im Falle eines Domkollapses hätten wir hier aber sehr wahrscheinlich die Karte mit dem Sensenmann gezogen. So traten wir erst einmal den strategischen Rückzug an und ruhten uns im Hotel ein wenig aus.Mitten in der Nacht schellte der Wecker und gegen 4 Uhr standen wir wieder auf der Pressewiese. Der Gipfel hüllte sich immer noch in Wolken. Nur gelegentlich wurden diese leicht rot illuminiert. Ein Indiz dafür, dass der Lavadom im Vulkankrater noch aktiv war. 5 Stunden verharrten wir auf unserem Beobachtungsposten, ohne dass ein einziger pyroklastischer Strom abging. Die Enttäuschung war den Geonauten ins Gesicht geschrieben. In der Woche vor unserer Abreise wurde von pyroklastischen Strömen berichtet, die alle 3 Minuten abgingen. Es sah so aus, als ob wir zu spät gekommen wären. Doch wir hofften darauf, dass der Vulkan nur eine Verschnaufpause einlegte und fuhren zur vulkanologischen Beobachtungsstation. Dort teilte man uns mit, dass neues Magma am Aufsteigen sei und der Dom weiterhin wuchs.
Am Nachmittag kehrten wir zum Vulkan zurück. Iwan hatte seinen Posten an seinen Sohn weitergereicht und uns noch einen Guide mitgegeben. Die neue Mannschaft war deutlich risikofreudiger und fuhr uns ins Sperrgebiet. Wie bezogen auf einem Acker Beobachtungsposition. Dieser lag ca. 1,5 km östlich des Ignimbrit-Feldes. Am Spätnachmittag sahen wir dann tatsächlich den ersten pyroklastischen Strom an uns vorbei rauschen. Nun brach das Vulkanfieber aus und niemand wollte mehr zurück ins Hotel. Dummer Weise hatten wir noch keine Ausrüstung für die Nacht dabei und diese wurde ziemlich unbequem und lang. Am Morgen hatten wir dafür die ersten brauchbaren Aufnahmen im Kasten und waren guter Dinge.
Die Phasen der pyroklastischen Ströme
In den folgenden Tagen kristallisierte sich heraus, dass die pyroklastischen Ströme in Phasen abgingen. Diese Phasen dauerten nur wenige Stunden an und verzeichneten deutliche Höhepunkte, während derer die pyroklastischen Ströme tatsächlich im 3 Minuten Takt abgingen. Zwischen den Phasen gab es Ruhepausen von mehreren Stunden bis zu fast 2 Tagen. In dieser Zeit besichtigten wir den Nachbarvulkan Sibayak mit seinen schwefligen Fumarolen.Nachdem wir nun einen Überblick über die Aktivität hatten wagten wir uns auch auf den Hügel vor dem Ignimbrit-Feld. Der Dom glich in der Tat eher einem relativ flachen Pfannkuchen und einen totalen Kollaps hielten wir für ziemlich unwahrscheinlich. Tatsächlich war der Dom ein sehr zähflüssiger Lavastrom, der sich im Krater des Sinabung breit machte. Eine Lava-Zunge des Doms floss in den oberen Bereich eines Canyons hinein. Von der Front dieser Lava-Zunge brachen Lavapakete ab, welche durch den Canyon zu Tale stürzten. Dabei zerbarsten die Lavabrocken, das Gas wurde freigesetzt und verwandelte anfängliche Schuttlawinen in pyroklastische Ströme.
Die Betelnuss kauende Bäuerin, die am Fuß des Aussichtshügels ihrer Feldarbeit nachging, hielt die Hand für ein Trinkgeld offen, als sie von unserem Guide erfuhr, dass die Geonauten auf ihrem Acker nächtigen wollten. Dafür durften wir dann auch zwischen Mais und Auberginen umher stampfen. Die Ernte war eh verdorben. Obwohl hier nur eine dünne Ascheschicht die Pflanzen bedeckte, faulten die Feldfrüchte bereits. Bauern, deren Felder praktisch vom Ascheniederschlag verschon blieben, klagten darüber, dass sie ihre Ware praktisch gar nicht mehr verkauft bekamen. Kein Händler wollte Ware aus dem Katastrophengebiet.
Dass es sich tatsächlich um ein Katastrophengebiet handelt, wurde uns bewusst, als wir die Ortschaften im Osten des Vulkans besuchten. Hier bedeckte eine deutlich dickere Ascheschicht die Felder und die gesamte Ernte war verloren. Zahlreiche Hausdächer waren unter der Last einer ca. 8 cm mächtigen Ascheschicht eingestürzt. Besonders schlimm erwischte es die Ortschaft Sigarang Garang. Hier wurden nicht nur viele Privathäuser verwüstet, sondern auch die Schule. Selbst eine Moschee war eingestürzt.
Vulkanische Blitze und pyroklastische Ströme
Unseren Aussichtshügel erreichten wir gerade zum Höhepunkt einer Eruptionphase. Die Luft im Westen war grau und schwer mit Asche beladen. Ein pyroklastischer Strom jagte den Anderen und in der Luft hing das knistern statischer Elektrizität. Tatsächlich zuckten zahlreiche kleine Blitze im Frontbereich der pyroklastischen Ströme. Uns bot sich ein fantastisches Naturschauspiel. Als ein besonders großer pyroklastischer Strom abging hörten wir aus der Ferne eine Aloha-Welle der Schaulustigen auf der Pressewiese und mir wurde ein wenig mulmig. Der pyroklastische Strom schwappte im Osten über die natürliche Begrenzung des Canyons und floss ein wenig mehr in unsere Richtung. Für ein paar bange Sekunden verstummten die Vulkanauten, konzentrierten sich auf das Geschehen und die Fotoarbeit. Zum Glück bekam die Glutwolke dann doch noch die Kurve und floss wieder auf der gewohnten Bahn in südwestlicher Richtung, allerdings nicht ohne ein paar Bäume in Brand zu setzten, die bisher von dem Inferno verschont geblieben waren. Nun begannen auch Blitze in der Aschewolke zu zucken die wenige Hundert Meter südwestlich von uns schwebte. So nahe war ich einem vulkanischen Gewitter noch nie.Nach gut einer Stunde ließ die Aktivität spürbar nach und die pyroklastischen Ströme wurden seltener. Die 2. Nachthälfte verlief relativ ruhig und die Vulkanauten ruhten ein wenig auf dem moskitoverseuchten Auberginenfeld.
Am letzten Tag zeigte sich der Sinabung wieder von seiner ruhigen Seite. Wir nutzten die Gelegenheit für einen Abstecher zum Toba-See. Mit einer Länge von fast 100 km und einer Breite von gut 30 km ist Lake Toba der größte See Indonesiens und der größte See vulkanischen Ursprungs weltweit. Er entstand vor ca. 72.000 Jahren in einer der größten Vulkaneruptionen der Erdgeschichte. Die Eruption brachte die junge Menschheit an den Rand der Ausrottung. Nur wenige Tausend Menschen überlebten den globalen vulkanischen Winter im Anschluss des Vulkanausbruches. Obwohl im Dunst nicht allzu viel von dem See zu sehen war, überkam mich ein Hauch Ehrfurcht vor den Naturgewalten, als ich die steil abfallenden Felswände des Seeufers erblickte. Einmal mehr wurde mir bewusst, wie eng Schöpfung und Zerstörung auf unserem Planeten zusammen hängen und wie großartig es ist den Spuren der Erdgewalten folgen zu dürfen.