Der Vulkan Nyiragongo von Ruanda aus gesehen.
Wie ein eitriges Krebsgeschwür wuchert die Stadt Goma am Ufer des Kivusees. Das Grenzgebiet zwischen Ruanda und dem Kongo war Mitte der 1990iger Jahren Schauplatz blutiger Massaker, zwischen den ruandischen Volksstämmen der Hutzis und Tutzis. Im kongolesischen Goma wuchs eine Flüchtlingsstadt und Rebellen verschanzten sich in den Wäldern an den Berghängen der Virunga-Vulkane.
Im Jahr 2002 brach einer dieser Vulkane aus: der Lavasee des Nyiragongo floss aus einer kilometerlangen Spalte in der Vulkanflanke aus. Die dünnflüssige Lava erreichte nach kurzer Zeit das Stadtgebiet von Goma. Ein breiter Lavastrom wälzte sich durch die Stadt, verschüttete die Landebahn des Flughafens, verwüstete die Armengebiete und tötete 147 Menschen, bevor er sich in den Kivusee ergoss. Auf dem Damm des erkalteten Lavastroms errichteten reiche Stadtbewohner ihre Villen hinter stacheldrahtbewehrten Mauern. Direkt daneben reihen sich die Areale internationaler Hilfsorganisationen aneinander; ebenfalls hinter dicken Mauern mit Stacheldraht auf den Kronen. Vor den Toren stehen bewaffnete Wachmänner und in den unasphaltierten Gassen zwischen den Häusern patroullieren panzerfahrzeuge der UNO. Auf dem Flughafen mitten in der Stadt landen uralte Boeing 727 und moderne Turboprop-Maschinen der UNO mit Hilfsgütern, von denen bei der bettelarmen Bevölkerung nichts ankommt. Stattdessen bauen sich korrupte Beamte und dubiose Geschäftsmänner Villen auf dem erstarrten Lavastrom.
Die meisten Menschen hausen in Slums und zerfallenen Wohngebäuden, die schon vor 40 Jahren reif für den Abriss waren. Strom gibt es nur bedingt. Chris Weber und ich haben bereits eine mehrstündige Odyssee von Büro zu Büro hinter uns. Unser Ziel ist eine Fotogenehmigung von der Tourismusbehörde, um Fotos im Umland von Goma und in der Stadt selbst machen zu dürfen. Tags zuvor hatten uns zwei vermeintliche Polizisten in Zivil erpresst und 60 USD gefordert, damit sie uns nicht mit zur Wache nehmen; ein paar Mitglieder unser 6-köpfigen Expeditionsgruppe der Geonauten, deren Mitglieder Thorsten Bökel, Jens Edelmann, Martin Rietze, Richard Rosscoe, Chris Weber und Marc Szeglat sind, waren beim Fotografieren in der Stadt gesichtet worden, wofür man angeblich besagte Genehmigung benötigt. Als wir unser Anliegen dem Beamten vorgetragen hatten, begann es in seinem Kopf sichtlich zu arbeiten. Klar war, dass er so eine Genehmigung noch nie ausgestellt hatte, erstaunlich günstig der Preis: 20 USD auf das offizielle Staatskonto per Überweisung und 20 USD als "Bearbeitungsgebühr" für sein Büro. Doch damit war die Sache nicht erledigt. Wir wurden nun von Büro, zu Büro weitergereicht und sollten immer weitere Gebühren entrichten. Die meisten der Büros waren dunkle Kammern ohne Strom, die sich in einer alten Lagerhalle befanden und mit provisorisch gezimmerten Stellwänden unterteilt waren. Über eine dieser Kammern stand in schiefen Lettern aufgepinselt "Ministerium für Kultur". Nach gut 3 Stunden platzt uns der Kragen und wir nehmen Reißaus: ohne Genehmigung versteht sich.
In Begleitung von 3 bewaffneten Rangern und 15 Trägern startet unsere Expeditionsgruppe bergauf. Zunächst schlängelt sich der Pfad durch den sekundären Nebelwald an der Vulkanflanke und wird nach ca. 1 Stunde zusehends steiler. Dichter Nebel wallt am Berg und Regentropfen prasseln auf uns nieder. Der feuchte Erdboden wird immer steiniger und geht bald in einen Hang aus Lavageröll über. Tote Bäume markieren den Weg des Lavastroms von 2002, der als solches bereits überraschend stark verwittert und zugewachsen ist. Ein Highlight sind Lavafetzen in den Astgabeln der abgestorbenen Bäume. Die Lava muss hier mit solcher Geschwindigkeit bergab geschossen sein, das sie bis zu 4 m hoch aufspritzte. Doch nur wenige Bäume hielten dem Lavastrom stand. Die meisten fielen um, oder verbrannten und hinterließen in der erstarrenden Lava Hohlräume, die heute als senkrechte Tunnel sichtbar sind.
Gut 250 Höhenmeter unterhalb des Gipfels steht eine wacklige Blechhütte in der wir vor dem strömenden Regen und starken Wind Unterschlupf suchen. Frierend warten wir auf unsere Träger mit den Rucksäcken, denn in über 3000 m Höhe wird es auch in den Tropen kalt. Nach einer halben Stunde lässt der Regen nach und wir starten zum Gipfelsturm. Das letzte Stück ist richtig steil und die Höhenluft macht sich bemerkbar. Der Aufstieg ist anstrengend, verläuft aber ohne Probleme. Nach gut 1400 Höhenmetern, die wir in 4 1/2 Stunden bewältigten stehen wir endlich am Kraterrand und starren in den wallenden Nebel. Euphorie will da irgendwie nicht aufkommen. Doch ab und zu hört man ein Rauschen und Grummeln aus der Tiefe; der Lavasee brodelt.
Auf der schmalen Terrasse kurz unterhalb des Kraterrandes ist wenig Platz und wir müssen die Zelte praktisch Hering an Hering aufstellen. Ich habe ein brandneues Zelt dabei, dass ich bisher nur einmal Daheim aufgebaut habe und kämpfe ein wenig mit der ungewöhnlichen Einbogenkonstruktion. Meine Kameraden belächeln mich milde und wundern sich, wie ein so großer Kerl in ein so schmales Zelt passen soll, doch es geht! Es hält dem Sturm hier oben sogar tapfer stand.
Als es dunkel wird wabert der Nebel im Krater rot. Er ist eine Mischung aus Gas, das vom Lavasee aufsteigt und atmosphärischer Wolkenbildung. Gelegentlich lichten sich die unheimlichen Wolken etwas und ich kann den Lavasee erahnen, doch so richtig frei wird die Sicht nicht. Nach dem Abendessen, das unser kongolesischer Koch zauberte, verkrieche ich mich erschöpft in mein eigenwilliges Zelt, das einer Haifischflosse ähnelt und versuche zu schlafen. Doch dazu tost der Wind zu sehr. Nach kurzer Zeit schaue ich nach draußen und sehe es über dem Krater rot glühen. Ich ziehe meine Hose an und springe in die Stiefel und stürme die 20 m zum Kraterrand hoch. Tief unten in dem gigantischen Krater sehe ich ihn kochen: den Lavasee! Wie beim Lavasee des Erta Alé in Äthiopien, bildet sich auch hier eine dünne Gesteinshaut auf der Seeoberfläche, die von rot glühenden Rissen in einzelne Schollen unterteilt wird. Im Gegensatz zum Erta Alé sind die Schollen kleiner und die Risse zahlreicher. Die Platten wandern von einer Stelle im nordwestlichen Drittel des Lavasees radial nach außen. Einige Lavafontänen schmeißen glühende Lavafetzen bis zu 5 m hoch. Mit bloßen Augen sind die Fontänen nur als hellorangene Flecken zu erkennen, erst der Blick durch das Teleobjektiv meines Fotoapparates enthüllt Details. Nach wenigen Minuten zieht der Nebel wieder in den Krater und verhüllt das Spektakel. Als wieder leichter Regen einsetzt verziehe ich mich in die Haifischflosse.
Doch richtigen Schlaf finde ich in dieser Nacht nicht; mehrmals stehen ich und meine Reisegefährten auf, versammeln uns in klaren Momenten am Kraterrand und bestaunen das Naturspektakle. In Erwartung der Morgendämmerung stehen wir natürlich auch zur "Blauen Stunde" parat, doch, wie sollte es anders sein, ziehen mit dem ersten Morgengrauen Wolken auf. Das beste Fotolicht des Tages ist verpatzt. Am späten Vormittag klart es plötzlich richtig auf. Das Gas zieht nach Osten ab. Die Oberfläche des Lavasees zeigt sich erstmalig richtig klar. Sie glänzt silbrig-grau und die Luft flimmert vor Hitze. Durch die roten Risse quillt Lava nach oben. An einigen Stellen ziehen Lavafontänen über den See. Sie wandern von der Mitte zum Rand des Lavasees, zischen, brodeln, dampfen und schmeißen Lavafetzen mehrere Meter hoch. Aufsteigende Gasblasen durchbrechen die dünne Gesteinshaut der Schollen und reißen Lava mit hoch, die kugelförmige Lavafontänen entstehen lassen; platzende Lavagasblasen! Diese zu Filmen ist mein Ziel. Als Kameramann arbeite ich natürlich am liebsten mit einer Videokamera, allerdings habe ich diese diesmal Zuhause gelassen und nur zweit Fotoapparate dabei, die auch Videoaufnahmen machen können. Gründe für diese Entscheidung waren die 5000 USD für eine Drehgenehmigung mit professionellem Equipment, das Verlustrisiko der teuren Videokamera aufgrund von Diebstahl in dieser unsicheren Region und der enorme Telebereich des Videomodus meiner Panasonic Lumix GH 2. Mit 1300 mm KB-Brennweite ist es mir damit möglich die gut 700 m entfernten Lavablasen fast formatfüllend aufzunehmen. Der Fotograf Martin Rietze muss zu diesem Zweck ein riesiges Telerohr mit sich schleppen, dafür gelingen ihm Fotos in sagenhafter Qualität.
Nach wenigen Minuten dampft sich der Lavasee wieder ein; das lange Warten auf die nächste Gelegenheit ist die Hauptbeschäftigung am Kraterrand. Eigentlich hatten wir geplant uns in den Krater abzuseilen. Dort befinden sich 2 Terrassen bevor der Krater zum Lavasee abfällt. Zumindest die erste Terrasse auf halber Kratertiefe hätten wir mit unseren 250 m Seil erreichen können, doch schon beim ersten Blick kamen mir Zweifel, ob meine bergsteigerischen Fähigkeiten für den Aufstieg ausreichen würden. Chris, Martin und Thorsten, die Bergsteiger der Gruppe zeigten sich hingegen optimistisch, doch uns allen wird spätestens am 2. Tag klar, dass wir die Aktion vergessen können. Bei dem Versuch uns mehr als 200 m vom Lager zu entfernen werden wir von unseren Rangern mit dem Hinweis zurückgepfiffen, dass man dazu eine Sondergenehmigung bräuchte? Wow! Eine vorsichtige Anfrage bezüglich des Seils endet gleich in einer heftigen Diskussion, die vor allem Richard und Jens führen, denn wir anderen sprechen kein Französisch. Irgendwie hatten wir uns die Sache anders vorgestellt, doch nach unseren Erfahrungen in Goma war das jetzt nicht weiter verwunderlich! Derart ans Lager gefesselt vergeht die Zeit langsam.
Pünktlich zur Abenddämmerung zieht ein Gewitter auf und wir witzeln über nasse Karbonstative und Zeltstangen aus Aluminium. Thorsten erzählt von einem heftigen Gewitter, das er mal in den Alpen erlebte, als Chris plötzlich die Haare zu Berge stehen. Statische Elektrizität! Na, hoffentlich schafft das keinen Blitzkanal. Um uns zucken die Blitze und der Donner hallt mehrfach im Krater wieder, dazu kommt das leise Grummeln des Vulkans. Zum Glück bleibt der befürchtete Blitz-Treffer aus. Nach 2 Stunden ergibt sich wieder ein kurzes Zeitfenster in dem die Wolken den Blick auf den Lavasee freigeben. Am Nachmittag stand der Lavasee mindestens 5 m höher und seine Oberfläche erscheint jetzt besonders unruhig. Zahlreiche Lavafontänen driften über den See. Die Lava fließt scheinbar durch einen Förderschlot in der Nordwest-Ecke des Kraters ab. Dort blubbert und kocht die Lava wie Wasser, das durch einen verstopfen Abfluss strömt. Nach ca. 20 Minuten stabilisiert sich der Seespiegel wieder und die Lavafontänen werden weniger.
Morgens wird uns vom Chef-Ranger mitgeteilt, dass wir am nächsten Tag absteigen müssen. Etwas überrascht beginnt eine neuerliche Diskussion? natürlich dreht es sich ums Geld. Einige Expeditionsteilnehmer sind bereit für eine weiter Nacht 200 USD zu bezahlen, andere wollen absteigen. Nach einem Telefonat (ja hier oben gibt es ein Handynetz) mit dem Chef der Nationalparkverwaltung kommt das unmissverständliche Aus: alle müssen morgen runter. Ich bin enttäuscht, habe mich mit dem Filmen zurück gehalten, um Akkuenergie zu sparen und muss nun innerhalb von einem Tag filmen was das Zeug hält.
Gegen Mittag hat der Lavasee wieder seinen Höchststand wenige Meter unterhalb der 2. Terrasse erreicht, als er plötzlich wieder anfängt abzufallen. Es bilden sich zahlreiche Lavafontänen, platzende Lavablasen und einzelne Lavafetzen erreichen eine Höhe von ca. 12 m. Erstaunlicher Weise klart auch diesmal die Sicht auf, was vielleicht mit einer erhöhten Hitzeabstrahlung des Lavasees zu tun hat. Seine Oberfläche ist so aufgewühlt, dass gelegentlich ein warmer Lufthauch am Kraterrand zu spüren ist.
Abends zieht dann erneut ein Gewitter auf. Ich versuche Blitze zu fotografieren, als diesmal mir die Haare zu Berge stehen; ein seltsam beunruhigendes Gefühl und ich mache, dass ich vom Kraterrand runter komme. Viel geschlafen wird auch in dieser Nacht nicht, denn die zweite Nachthälfte ist klar und die Rotglut des Lavasees schlägt mich in ihren Bann.
Am Morgen brechen wir nach 3 Nächten unser Lager ab und beginnen mit dem Abstieg. Da ich noch Strom im Akku habe, filme ich die Details, die ich auch aufgrund des Regenwetters beim Aufstieg ignoriert habe.
Der 1400 m hohe Abstieg verläuft ohne Probleme und ist ein richtig angenehmer hike. Unten packen wir so schnell wie möglich unsere Sachen und fahren schnurstracks Richtung Grenze nach Ruanda. Wir sind uns einig; auf unseren zahlreichen Reisen haben wir uns in einem Land selten unwohler gefühlt, als im Kongo. Der Vulkan Nyiragongo ist allerdings eine Reise wert!
Stand 2011