Martinique mit der Inselhauptstadt Saint Pierre war einmal als "die Perle der Karibik" bekannt. Die Stadt lag in einer malerischen Bucht die im Nordwesten von den schroffen Felsen der "Montagne Pelée" eingefasst wurde. Das Leben hier war beschaulich und die Insel genoss den Ruf ein beliebtes Reiseziel einer wohlbetuchter Oberschicht zu sein, die sich bereits zum Anfang des 20. Jahrhunderts Fernreisen leisten konnte.
Das französische Überseedépartement blickt auf eine lange Geschichte zurück und wurde von Christoph Kolumbus auf seiner 4. Reise entdeckt. 1635 wurde die Insel offiziell von Franzosen kolonisiert. Zuckerrohrplantagen wurden gegründet und Rum destilliert. Zeitweise arbeiteten auf der kleinen Insel mehr als 60.000 Sklaven afrikanischer Abstammung. Darüber hinaus gewann der Hafen von St. Pierre Bedeutung als Warenumschlageplatz und Stützpunkt der Kriegsflotte.
Wie so häufig in der Nachbarschaft von Vulkanen war den Menschen zwar bewusst, dass von dem Feuerberg eine potentielle Gefahr ausging, dennoch wurde diese ignoriert. Selbst noch, als sich erste Anzeichen mehrten, dass die Montagne Pelée zu neuem Leben erwacht. Gut 3 Jahre vor dem katastrophalen Ausbruch entstanden einige Fumarolen am Gipfel des Vulkans. Im Januar 1902 verstärkte sich die fumarolische Aktivität und es wurden tote Tiere entdeckt, die vermutlich in den giftigen Gasen erstickten. Am 23. April spürten die Anwohner einige leichte Erdbeben und der Vulkan spie etwas Lava aus. Am 24. April ereignete sich eine phreatische Eruption und 2 Tage später regnete Vulkanasche auf St. Pierre nieder. Am 27. April startete eine kleine Expedition zum Gipfel des Vulkans und man fand im Krater Etang Sec einen kochenden See. Schwefelgeruch verbreitete sich über die Insel.
Am 30. April regnete Asche über die Ortschaften Le Prêcheur und St. Philomène nieder. Flüsse traten über die Ufer und schwemmten Felsen und Baumstämme an, die von der Flanke des Vulkans hinab gespült wurden.
Am 2 Mai steigerte sich die Aktivität und eine starke Eruption ließ über die gesamte Insel Asche regnen. Trotzt der Besorgnis erregenden Tätigkeit blieben die Menschen auf Martinique scheinbar ruhig, nur der Kapitän eines neapolitanischen Frachtschiffes Orsolina erkannte die Zeichen der drohenden Katastrophe und ergriff die Flucht, nicht ohne die warnende Worte zu hinterlassen:
"Ich weiß zwar nichts über den Mont Pelé, aber wenn der Vesuv so aussähe wie euer Berg heute Morgen, würde ich Neapel verlassen. Und ich verschwinde von hier." *
Einen Tag später gab es weitere Warnungen aus der Natur: erdbewohnende Insekten (überwiegend Ameisen und Tausendfüßler)sowie Grubenottern verließen ihre Behausungen und kehrten den Berg den Rücken. Dabei wurden angeblich zahlreiche Arbeiter der Zuckerrohrplantagen von den giftigen Schlangen gebissen und starben. Tiere verhungerten auf den Weiden, da das Futter durch Ascheregen und giftige Aerosole ungenießbar wurde.
Der Kratersee lief aus und ein Lahar ergoss sich über die Vulkanflanke und verschüttete eine Zuckerfabrik. Auch hier starben mehrere Menschen. Am 6. Mai verließen ca. 2000 Bewohner die Insel, obwohl der Bürgermeister beschwichtigte und die Gefahr klein redete.
In der folgenden Nachtwurden vulkanische Gewitter beobachtet und eine neuerliche Expedition zum Krater kehrte mit der Meldung in die Stadt zurück, dass in der Caldera Étang Sec ein Lavadom wuchs. Doch dieser sei sehr klein und ungefährlich, so die Fehleinschätzung der Expeditionsmitglieder.
Am Morgen des 8. Mai nahm die Katastrophe ihren Lauf: der Dom kollabierte und löste eine seitwärts-gerichtete Explosion aus. Diese schickte eine Glutwolke in Richtung St. Pierre. Der pyroklastische Strom erreichte die unvorstellbare Geschwindigkeit von 670 km/h und erreichte die Stadt in Sekundenschnelle. Im Inneren der Glutwolke herrschten Temperaturen von ca. 1000 Grad Celsius und alles Brennbare ging in Flammen auf. Der Rum in den Brennereien fing Feuer, Rumfässer explodierten. Als der pyroklastische Strom aufs Meer hinaus floss begann das Wasser zu kochen. Die meisten der 18 Schiffe, die im Hafen ankerten wurden vernichtet. Nur dem Dampfer Roddam gelang die Flucht, doch auch hier starb die Hälfte der Besatzung. Das Besatzungsmitglied Thompson lieferte einen der wenigen Augenzeugenberichte:
"Der Berg wurde in Stücke geblasen. Es gab keine Warnung. Die Flanke des Vulkans war herausgerissen und da schleuderte eine massive Feuerwand geradewegs auf uns zu. Es klang wie tausend Kanonen. Die feurige Welle stürzte sich wie ein aufflammender Blitz auf und über uns hinweg. Sie glich einem Hurrikan aus Feuer. (?) Das Feuer wälzte sich in voller Ausdehnung direkt auf St. Pierre und die Schiffe. (?) Der Feuersturm vom Vulkan hielt nur wenige Minuten an. Er schrumpfte zusammen und setzte alles was er antraf in Brand. Brennender Rum rann in Strömen die Straßen von St. Pierre hinab ins Meer. (?) Nach der Explosion war keine einzige lebende Seele mehr an Land zu sehen. (?) Das Feuer hatte die Schiffsmasten und Schornsteine hinweggerissen, als wären sie mit einem Messer abgeschnitten." *
© Angelo Heilprin
In St. Pierre selbst sah es um ein Vielfaches schlimmer aus; hier überlebten nur 3 Menschen. Der bekannteste der Überlebenden war Louis-Auguste Cyparis; ein inhaftierter Matrose, den die dicken Gefängnismauern vor der Glutwolke schützten. Der Schumacher Léon Compère-Léandre befand sich am Stadtrand von St. Pierre, als die Glutwolke eintraf und konnte sich schwer verletzt in ein benachbartes Dorf retten. Ein junges Mädchen namens Havivra Da Ifrile deutete die Zeichen des Vulkans richtig und flüchtete in einem Ruderboot in den Schutz einer kleinen Grotte. Später beschrieb sie ein zischendes Geräusch, als die Glutwolke das Meer erreichte.
Das ein kleines Mädchen die Anzeichen des Vulkanausbruches richtig interpretierte, die Behörden aber nicht rechtzeitig evakuierten könnte an den Bezirkswahlen gelegen haben, die in den Tagen der Eruption durchgeführt wurden. Vermutlich mochten die Verantwortlichen die Menschen aus Gründen der Wahlpropaganda nicht beunruhigen.
Der Vulkan blieb noch bis 1905 tätig, allerdings auf schwächerem Niveau. Die Katastrophe lockte Wissenschaftler aus aller Welt an, die erstmalig einen Vulkanausbruch dieser Größenordnung studierten. Einige Autoren sehen in dem Ausbruch des Mont Pele die Geburtsstunde der modernen Vulkanologie. Auf jeden Fall war das Ereignis so tiefgreifend, dass die Begriffe "Glutwolke" (nuée ardente) und peleanische Eruption geprägt wurden. Eine Glutwolke ist ein spezieller pyroklastischer Strom der bei der seitwärts-gerichteten Explosion einer peleanischen Eruption entsteht und mehr große Gesteinsblöcke enthält, als ein normaler pyroklastischer Strom.
*(Robert W. Decker & Barbara B. Decker: Mountains of Fire - The Nature of Volcanoes. Cambridge University Press, Cambridge 1991