Die Dramen, welche sich am Ende des letzten Glazials (Eiszeit) abgespielt haben mögen, sind heute nur schwer nachvollziehbar, wenn man durch das idyllische Neanderthal bei Düsseldorf wandert. Das Tal des Flusses Düssel ist namensgebend für die Menschenart Homo neanderthalensis, da hier eine der ersten Fundstellen von Knochenresten des Neandertalers liegt: 1856 förderten Steinbrucharbeiter Knochen des Urmenschen zu tage, welche sie auf den Abraum warfen. Zum Glück wurden die 16 Knochenteile von den Steinbruchbesitzern Wilhelm Beckershoff und Friedrich Wilhelm Pieper geborgen und zur wissenschaftlichen Untersuchung an Johann Carl Fuhlrott und Hermann Schaaffhausen weitergegeben. Die damalige Fachwelt teilte die Meinung der Forscher nicht, dass es sich um eine neu entdeckte Menschenart handelte. Erst 1864 wurde diese durch den irischen Geologen William King bestätigt und benannt. So hieß der Neandertaler zunächst Homo neanderthalensis king, was sich im Sprachgebrauch allerdings nicht etablierte.
Koexistenz von Neandertaler und Homo sapiens
Seit jener Zeit wurden viele weitere Funde von Neandertalern in Europa und Vorderasien gemacht. Lange Zeit glaubte man, dass der Neandertaler stark, aber dumm war und dem modernen Menschen intellektuell unterlag. Doch dieses Bild des Neandertalers wandelt sich langsam. In den letzten Jahren fanden Wissenschaftler viel über die Lebensart des Neandertalers heraus. So benutzen sie Steinwerkzeuge, bestatteten ihre Toten und lebten überwiegend in Zelten aus Tierhäuten. In Höhlen schufen sie Kunstwerke, was den Beweis lieferte, dass der Neandertaler dem modernen Menschen intellektuell zumindest nahe kam. Dies nehmen deutsche Forscher um Dirk Hoffmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig an, welche Malereien in spanischen Höhlen nicht dem Homo sapiens zurechneten, sondern dem Homo neanderthalensis.Erst vor wenigen Jahren wurde das Genom des Neandertalers vollständig entschlüsselt. Es zeigt, dass sich Neandertaler und moderne Menschen zeitgleich entwickelten. Ihr Genom stimmt zu 99 Prozent überein. Jeder heute lebende Menschen enthält bis zu 4 Prozent Neandertaler-Gene. Homo neanderthalensis und Homo sapiens paarten und vermischten sich während der Steinzeit. In Marokko wurden 300.000 Jahre alte Knochenreste gefunden, die zunächst dem Neandertaler zugeschrieben wurden. Doch neue Untersuchungen belegen, dass die Reste vom Homo sapiens stammen. Damit erschien der Mensch 100.000 Jahre früher auf der Evolutionsleiter, als bisher angenommen. Die neuen Erkenntnisse lassen auch Zweifel an der Theorie aufkommen, dass sich der Mensch in Ostafrika entwickelte. Zwar fand man dort die bis Dato ältesten Menschen-Fossilien, doch die neue Datierungen aus Marokko belegen, dass es schon früher Menschen in Nordafrika gab. So existierten vor 300.000 Jahren bereits 5 Menschenarten parallel: Homo sapiens in Afrika,Neandertaler in Europa, Denisova-Menschen in Sibirien, die kleinen Hobbits (Homo floresiensis) in Indonesien und Homo naledi in Südafrika. Von diesen 5 Arten überdauerte nur der Homo sapiens. Doch was geschah mit den anderen Menschenarten? Wurden sie vom Homo sapiens verdrängt, oder sogar aktiv ausgerottet? Gingen sie einfach in Homo sapiens auf, oder fielen sie einer Naturkatastrophe zum Opfer?
Der Untergang des Neandertalers
Das Klima des Holozäns wurde vom letzten Glazial (Weichsel-Würm-Kaltzeit) bestimmt. Erst vor 11.500 Jahren wechselten wir ins Interglazial und das Klima wurde freundlicher. Doch während einer Periode zwischen 100.000 und 30.000 Jahren vor heute gab es zahlreiche sehr schnelle Temperaturwechsel, welche sich deutlich auf die Lebensbedingungen ausgewirkt haben dürften. Einige der Temperatur-Minima sind mit Supervulkan-Eruptionen korrelierbar. Vor gut 74.000 Jahren begann die extremste Kaltphase des Glazials. Diese wurde sehr wahrscheinlich durch die Eruption des Vulkans Toba auf Sumatra ausgelöst. Damals wurde fast die gesamte Menschheit ausgelöst. Vom Homo sapiens überlebten nur wenige Tausend Exemplare die Katastrophe. Genaue Erkenntnisse bezüglich des Neandertalers dieser Epoche gibt es nicht, aber auch diese Menschenart überlebte. Vor 39.000 Jahren eruptierte der Calderavulkan Campi Flegrei mit einem VEI 7. Es folgte eine weitere Phase extremer Kälte, welche möglicher Weise den Untergang des Neandertalers einleitete. Als der Steinzeitmensch vor 30.000 Jahren endgültig verschwand, ereignete sich noch eine Supervulkan-Eruption im fernen Neuseeland: die Eruption des Taupo-Vulkans war noch stärker als der Ausbruch der Campi-Flegrei und dürfte sich fatal auf das Weltklima ausgewirkt haben. Es ist anzunehmen, dass die vulkanisch bedingten Klimakatastrophen den Konkurrenzkampf zwischen dem modernen Menschen und dessen Seitenlinien verstärkten und dass der Homo sapiens als einzig überlebende Menschenart aus diesem Konkurrenzkampf hervorging.Das Neanderthal und sein Museum
Wer einen detaillierten Einblick in die Zeit des Neandertalers erhalten möchte, dem sei ein Besuch des Museums im Neanderthal bei Düsseldorf nahe gelegt. In der Ausstellungen finden sich viele Fundstücke zum Steinzeitmensch und Rekonstruktionen seiner Lebensart. Zudem wird die Evolution des Menschen thematisiert. Zu Fuß kann man die Original-Fundstelle des Neandertalers erwandern. In der Steinwerkstatt können angemeldete Gruppe Steinmetze beobachten, oder selbst Steinwerkzeuge herstellen.Die Bilder zeigen Exponate des Museums und sind © Marc Szeglat