Chile, Haiti, Sumatra. In den letzten Monaten und Jahren ereigneten sich einige Erdbeben die in Bezug auf die angerichteten Schäden und Todesopfer rekordverdächtig sind. Bei dem Erdbeben am 12. Januar 2010 in Haiti starben mindestens 212.000 Menschen. Einige Hilfsorganisationen sprachen sogar von einer halben Millionen Opfer und gleich hohen Zahlen von Verletzten. Mehr als 1,3 Millionen Menschen wurden obdachlos, ungezählte Kinder verwaisten. Die Hauptstadt Port au Prince glich einem Trümmerfeld. Das Beben erreichte eine Magnitude von 7.2. Damit war es um einiges schwächer als das Erdbeben, dass sich nur wenige Wochen später in Chile ereignete. Dort bebte die Erde am 27. Februar 2010 mit einer Magnitude von 8.8. Ungefähr 1.5 Millionen Häuser und Wohnungen wurden in der betroffenen Region um die Hafenstadt Concepcion zerstört, oder stark beschädigt. 2 Millionen Menschen wurden direkt betroffen. Da sich das Epizentrum vor der Küste Chiles befand wurde ein Tsunami ausgelöst, der zusätzliche Schäden in der chilenischen Inselwelt anrichtete. Trotz der Schwere des Bebens gab es vergleichsweise wenige Todesopfer: ungefähr 500 Menschen verloren ihr Leben.
Das stärkste, jemals gemessene Erdbeben ereignete sich 1960 ebenfalls in Chile und hatte eine Magnitude von 9.5. Bei dem Erdbeben von Valdivia starben auch vergleichsweise wenige Menschen. Diese Beispiele verdeutlichen, dass die zerstörerische Wirkung eines Erdbebens nicht nur von seiner Magnitude abhängt. Auf der Richterskala bedeutet eine Magnituden-Erhöhung um 1 (also zum Beispiel von 8 auf 9) eine Verzehnfachung der Amplitude und das 32-fache an freigesetzter Energie im Epizentrum.
Die Moment-Magnitude versucht einen direkten Zusammenhang zu der Energie von Sprengstoff (TNT) und darüber zu der Sprengkraft von Atombomben vom Hiroshima-Typ herzustellen. Demnach entspricht ein Beben mit der Magnitude von 6 der 1,2-fachen Energie der Hiroshima-Atombombe, ein Beben der Magnitude 7 setzt 38 mal mehr Energie frei, als eine Atombombe und ein Beben mit einer Magnitude von 8 entspricht der Energie von 1200 Hiroshima-Atombomben. Wenn man diese Größenordnungen betrachtet und nun die Beben von Chile und Haiti miteinander vergleicht, scheint es erstaunlich, dass in Chile nicht weitaus mehr Menschen gestorben sind. Um das zerstörerische Potential eines Erdbebens einschätzen zu können, sind aber noch weitere Faktoren von entscheidender Wichtigkeit: Die Tiefe des Epizentrums, die Dauer des Bebens und seine Schwingungsrichtung.
Grundsätzlich gilt, dass oberflächennahe Erdbeben größere Zerstörungen hervorrufen, als solche, die sich in großen Tiefen nahe der Grenze zum Erdmantel ereignen.
Ein langanhaltendes Erdbeben zermürbt die Bausubstanz stärker, als ein Kurzes.
Erdbebenwellen, die parallel zur Erdoberfläche schwingen weisen ein größeres Zerstörungspotential auf, als solche Wellen die senkrecht zur Erdoberfläche schwingen.
Ein weiterer Faktor ist der Zustand der Bausubstanz im Erdbebengebiet. In Haiti waren die meisten Gebäude in schlechtem Zustand und von mangelhafter Statik. Die Gebäude in Chile erwiesen sich schon als solider, wenn auch die wenigsten Gebäude erdbebensicher gebaut waren.
Befindet sich das Epizentrum unter dem Meeresgrund spricht man von einem Seebeben. Von diesen gehen die gleichen Gefahren aus, wie von einem Erdbeben an Land, allerdings droht eine zusätzliche Gefahr: Seebeben können Tsunamis auslösen. Tsunamis sind Wellen im Meer, die sich durch eine besonders lange Wellenlänge, aber geringer Wellenhöhe auszeichnen. Zwischen Wellenkamm zu Wellenkamm können bei einer Tsunami-Welle Hundert Kilometer liegen. Ein Tsunami transportiert kein Wasser, sonder überträgt Energie von Wassermolekül, zu Wassermolekül. Auf offener See haben diese Wellen maximal eine Höhe von einem Meter und werden selbst von Schiffen oft gar nicht wahrgenommen. Erst im Flachwasserbereich vor der Küste verwandelt sich ein Tsunami in eine todbringende Monsterwelle. Wenn der untere Wellenteil am Grund im Flachwasser durch Reibung abgebremst wird, bricht die Welle. Anstatt Energie wird nun tatsächlich Wasser transportiert und die Wellen türmen sich bis zu einer Höhe von mehreren Metern auf. Allerdings halte ich Geschichten um Wellen mit einer Höhe von mehr als 10 Metern für Legenden, die dadurch entstehen, dass Küstenabschnitte bis zu einer entsprechenden Höhe über dem Meeresspiegel überflutet werden. Dass die Wassermassen aber teilweise über 1 Kilometer weit ins Landesinnere vordringen, liegt weniger an der eigentlichen Wellenhöhe, sondern daran, dass ungeheure Wassermassen bedingt durch die große Wellenlänge und Energie der Tsunamis ins Landesinnere gedrückt werden. Schaut man sich Aufnahmen des dramatischen Tsunamis an, der am 26. Dezember 2004 durch ein Seebeben vor Sumatra generiert wurde und bis nach Sri Lanka und Thailand reichte, sieht man nirgends eine zig Meter hohe Riesenwelle. Die eigentliche Wellenfront erreichte eine Höhe von ca. 1,5 Metern, überflutete aber Gebiete die 15 Meter über Normalnull liegen. Nur wo die Wellenfront auf Hindernisse stieß spritzte das Wasser mehrere Meter hoch.
An den Folgen dieses Seebebens starben mehr als 230.000 Menschen. Die Meisten wurden Opfer des Tsunamis und ertranken in den Fluten. Aber nicht bei jedem Seebeben entsteht eine Riesenwelle. Der beschriebene Tsunami wurde durch einen vertikalen Versatz des Meeresbodens verursacht, bei der sich 2 Gesteinsplatten relativ zueinander bewegten. Der Maximalwert des horizontalen Versatzes betrug in einer Entfernung von 120 km zum Hypozentrum 20 Meter. Insgesamt bewegten sich die Gesteinsplatten entlang ihrer Bewegungszone auf einer Länge von 1200 Kilometern.
Erdbeben entstehen generell bevorzugt entlang der kontinentalen Nahtstellen der Plattengrenzen. Die Platten der Erdkruste bewegen sich um einige Zentimeter im Jahr. An einigen Stellen verhaken sich die Gesteinsplatten miteinander, während die Relativbewegung anhält. Daher können sich entlang der Plattengrenze große Spannungen im Gestein aufbauen. Irgendwann ist die Bruchfestigkeit des Gesteins überschritten und kommt zum explosionsartigen Sprödbruch. Ausgehend vom Epizentrum eines Erdbebens setzt sich der Riss fort, und erreichte im Falle des Sumatra-Adamanen-Bebens, eine Länge von 1200 Kilometern. Der vertikale Versatz von 20 Metern verdrängte das Wasser am Meeresboden explosionsartig und regte somit den Tsunami an.