Seit dem 29. Mai 2006 ergießt sich eine unaufhaltbare Schlammflut über mehrere Dörfer im Nordosten Javas. Plötzlich entstand nahe der Stadt Surabaya ein Schlammvulkan: nahe einer Erdgas-Probebohrung bildete sich ein Krater aus dem eine 50 m hohe Schlammfontäne schoss. Der Schlamm hatte eine Temperatur von ca. 100 Grad. Bald begann ein Kegel um den Krater zu wachsen und der Schlammvulkan erhielt den Namen „Lumpur Sidoarjo“, oder kurz „Lusi“
In den ersten Jahren förderte der neu entstandene Schlammvulkan täglich über 100.000 Kubikmeter Schlamm. Mittlerweile reduzierte sich die Förderrate auf 10.000 Kubikmeter. Hinzu kommen große Mengen der klimaschädlichen Gase Methan und Kohlendioxid. Unaufhaltsam überrollte der Schlamm die Häuser mehrere Dörfer. 30.000 Menschen verloren ihre Heimat. Eiligst wurden Dämme um das Areal errichtet; heute kann man von den Kronen der Dämmen aus das riesige Areal überblicken und sieht nicht noch die Giebel einiger Häuser aus der grauen Ebene herausragen.
Das Schlammreservoir ist riesig. Noch bis 2037 soll der Matsch sprudeln. Bisher galt die Probebohrung als Auslöser des Desasters. Man hatte 21.000 Liter Bohrspülung in das 1275 m tiefe Bohrloch gepumpt und so den Druck im Erdinneren erhöht. Doch eigentlich ist es eine geringe Menge künstlich eingebrachter Flüssigkeit, betrachtet man die tägliche Förderrate. Kann eine so geringe Druckänderung tatsächlich die Katastrophe ausgelöst haben? Dieser Frage ging jüngst ein Forscherteam der Universität Bonn und der ETH Zürich nach. Das Team unter Leitung von Dr. Steven Miller untersuchte die Gesteinsformationen Ostjavas und fand heraus, dass sich über der Schicht mit festem Schlamm eine kuppelförmige geologische Struktur befindet, die aus Vulkangestein besteht. Diese nach unten gewölbte Gesteinskuppel hat in etwa die Form einer Parabol-Schüssel und könnte wie ein Reflektor wirken und Erdbebenwellen verstärken. Knapp 2 Tage vor dem Ausbruch des Schlammvulkans ereignete sich im 250 km entfernten Yogyakarta ein schweres Erdbeben der Magnitude 6,3. Diese Beben richtete nicht nur lokal große Schäden an, sondern verstärkte auch die Aktivität der Vulkane Merapi und Semeru. Letzterer ist gut 300 km von Yogyakarta entfernt. Modellrechnungen ergaben nun, dass dieses Beben auch zu der Schlamm-Eruption des Sidoarjo geführt haben könnte. Die Forscher erklären den Vorgang so: „Die Erdstöße und Nachbeben schickten mehrere Wellenpulse nach Sidoarjo, die die instabile und ohnehin schon unter Druck stehende Schlammschicht mit jedem Puls weiter aufluden. Die Parabol-Formation der Deckschicht habe die Energie der Wellen weiter konzentriert. Als Folge stieg der Porendruck so weit, dass sich der Schlamm verflüssigte und in die angrenzende Verwerfungszone eindrang. Das setzte den Kollaps des gesamten instabilen Systems in Gang“.
Demnach verflüssigte sich die feste Schlammschicht erst durch die Erschütterungen der Erdbebenwellen, die durch die kuppelförmige Deckschicht verstärkt wurden. Ähnliche Prozesse wurden in der Vergangenheit oft bei starken Erdbeben beobachtet. In Christchurch auf Neuseeland kam es zur Boden-Liquefaktion. Damals fürchteten viele Anwohner einen bevorstehenden Vulkanausbruch, da sie dachten der warme Schlamm sei vulkanischen Ursprungs. Auf Java steht das Schlammreservoir durch die auflastenden Gesteinsmassen unter hohen hydrostatischen Druck, da es sich in relativ großer Tiefe befindet. Neu an der Theorie der Bonner Forschergruppe ist, dass Erdbebenwellen auf so großer Distanz den „Boden“ verflüssigen können.
Die Schlamm-Eruption wurde also wahrscheinlich nicht von Menschen verursacht, sondern ist eine Naturkatastrophe. Den Forschern lieferte sie zudem wertvolle Informationen wie Erdbeben hydrothermale Prozesse und sogar Vulkanausbrüche beeinflussen können.
Ein weiteres Forschungsergebnis deutscher Wissenschaftler (Tim Jennerjahn vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie) betrifft die Lebewelt im Fluss Porong und dem Küstengebiet in dem der Fluss mündet. Der Eintrag organischer Schwebestoffe hat sich durch Lusi verdoppelt. Mit fatalen Folgen für das maritime Ökosystem. Die Sauerstoffkonzentration im Wasser ging dramatisch zurück. Für viele Lebewesen wird es kritisch.