Forscher erbohrten 1268 m langen Bohrkern aus Mantelgestein des Atlantischen Rückens – Rückschlüsse über Magmenentstehung möglich
Der Mensch hat es bereits vor fast 60 Jahren geschafft, auf dem Mond zu landen, Gesteinsproben vom Mars zu untersuchen und die Tiefen des Weltalls mittels Ferndiagnostik zu erforschen. Doch das, was in wenigen Kilometern Tiefe unter unseren Füßen vorgeht, ist weitestgehend unbekannt: Über die komplexen Prozesse im Erdinneren verfügen wir nur über vergleichsweise wenige Daten und noch weniger Proben, die im Labor untersucht werden können. Dabei ist ein Verständnis dieser Prozesse von enormer Bedeutung, denn hier liegt der Schlüssel zum Verständnis verschiedener Stoffkreisläufe, der Plattentektonik, der Entstehung des Erdmagnetfelds sowie des Wissens um Erdbeben und Vulkanausbrüche verborgen. Eine groß angelegte Forschungsaktion förderte im Frühjahr 2023 den längsten zusammenhängenden Bohrkern von Mantelgestein zutage, der helfen könnte, die Vorgänge im Erdinneren besser zu verstehen.
Der Bohrkern ist 1.268 Meter lang und lagert nun in zahlreichen Kisten verpackt im Archiv der Cardiff University in Wales. Er wurde mit Hilfe des Meeresbohrschiffs JOIDES Resolution am Atlantis-Massiv des Mittelatlantischen Rückens geborgen. Hier ist die ozeanische Kruste nur wenige Kilometer mächtig, was das Projekt erleichterte. An dem Projekt mit der Bezeichnung „Expedition 399“ waren mehr als 30 Forscher aus verschiedenen Ländern beteiligt. Die Forschungsarbeiten sind noch lange nicht abgeschlossen, doch die Universität Cardiff veröffentlichte eine Pressemeldung, in der erste Ergebnisse vorgestellt wurden.
Das Gestein des Bohrkerns besteht überwiegend aus serpentinisiertem Peridotit. Dieses Mantelgestein enthält vor allem die Mineralien Olivin, Pyroxen und Plagioklas. Die Forscher waren überrascht über den geringen Anteil an Pyroxen, der in anderen Mantelgesteinsproben weitaus häufiger vorkommt. Im Bohrkern liegt der Pyroxen-Anteil bei weniger als 10 Prozent. Studienautor C. Johan Lissenberg erklärt, dass andere Mantelgesteinsproben entweder als Einschlüsse in Lava vorliegen, die aus Vulkanen eruptiert wurde, oder vom Meeresboden geschürft wurden. Bei diesen Proben könnte das ursprüngliche Mantelmaterial jedoch bereits chemisch umgewandelt worden sein. Zudem zeigt die Struktur des Bohrkerns, dass frühere Schmelzbewegungen im Mantelgestein zum Teil eine diagonale Bewegungsrichtung aufwiesen.
Die Ergebnisse deuten außerdem auf eine höhere Schmelzmenge im Mantelgestein hin als bisher angenommen, was wichtige Implikationen für das Verständnis der Magmaentstehung und des Vulkanismus hat. Die Untersuchung der Mantelgesteine ermöglicht es auch, den Transport von Magma und dessen Einfluss auf Vulkane, insbesondere solche auf dem Meeresboden, besser zu verstehen.
Ein weiterer Aspekt der Forschung befasst sich mit der Reaktion von Olivin, einem häufigen Mineral im Mantel, mit Meerwasser, wodurch Wasserstoff und andere lebenswichtige Moleküle produziert werden. Dies könnte ein Schlüsselfaktor bei der Entstehung des Lebens auf der Erde gewesen sein. Die Erkenntnisse aus den geborgenen Gesteinen bieten wertvolle Einblicke in die chemischen und physikalischen Bedingungen der frühen Erde und werden weiterhin intensiv untersucht, um eine Vielzahl von geowissenschaftlichen Fragen zu klären.