Nach starkem Erdbeben steigt die Angst vor einem Vulkanausbruch – Vulkanologen beruhigen
Der starke Erdbebenschwarm von gestern Abend beunruhigte die betroffenen Menschen sehr und viele übernachteten im Freien. Die Kommunalverwaltung hatte auf öffentlichen Sammelplätzen vier große Zelte aufstellen lassen, in denen Anwohner unterkommen konnten, die nicht in ihren Häusern übernachten wollten: Die Angst vor einem stärkeren Erdbeben war bei manchen groß. Es wurde auch psychologische Betreuung angeboten.
In vielen Medien ist zu lesen, dass die Menschen in Panik verfielen, doch auf den zahlreichen Aufnahmen in den sozialen Medien sieht man zwar rege Betriebsamkeit in den Straßen und auf den für Notfälle ausgewiesenen Sammelplätzen am Ende der Evakuierungsrouten, doch die Leute wirken zum großen Teil ruhig und gefasst und nicht panisch oder verzweifelt.
Erdbeben Mb 4,4 verursachte leichte Schäden in Pozzuoli
Das Beben verursachte leichte Schäden an Gebäuden und Straßen. Vornehmlich kam es zu Rissbildungen, aber es sind auch kleinere Fassadenteile wie Putz und Verzierungen auf die Straßen gefallen. Es kam zu Verkehrsbeeinträchtigungen und der Bahnverkehr wurde eingestellt, da man die Gleise überprüfen musste. Am Rand der Solfatara ereigneten sich Steinschläge und Erdrutsche.
Das INGV hat die Magnitude des stärksten Erdbebens bei Mb 4,4 belassen, ohne sie zu korrigieren. Beim EMSC hingegen wurde die Magnitude auf 4,2 herabgestuft und das Epizentrum vor die Küste von Ischia verlagert, was mir wenig plausibel zu sein scheint. Aber auch mit einer reduzierten Magnitude liegt das Beben im Spitzenbereich der letzten 40 Jahre und teilt sich den Titel des stärksten Erdstoßes dann mit dem Beben Ende September 2023.
Obwohl das Beben immer als stark beschrieben wird, muss man das relativ sehen: Für ein Erdbeben mit vulkanischem Hintergrund ist es ein starkes Erdbeben gewesen und auch das stärkste je gemessene Erdbeben in der Campi Flegrei. Dennoch muss man es aufgrund der Magnitude im 4-er-Bereich als mittelstark einordnen. Es war zwar gut zu spüren gewesen, hatte aber nur ein geringes Zerstörungspotenzial. Es gibt noch Luft nach oben, bevor man mit katastrophalen Schäden rechnen muss. Vulkanisch bedingte Erdbeben werden selten noch stärker. Werden sie es doch, dann ist in der Regel Magma unterwegs, so wie wir es am 10. November auf Island sahen, als sich ein magmatischer Gang unter Grindavik ausbreitete, der sogar zu einem Rifting-Prozess geführt hat. Damals gab es Erdbeben bis zur Magnitude 5,2.
Vulkanologen beruhigen: Keine Anzeichen für unmittelbar bevorstehenden Vulkanausbruch
Während sich die Anwohner der Campi Flegrei also Sorgen machen, dass der Calderavulkan ausbrechen könnte, beruhigen die INGV-Vulkanologen. Sie schrieben in einem Statement, dass es keine anderen Anzeichen für einen bevorstehenden Vulkanausbruch gäbe. Weder die Bodenhebung hat sich beschleunigt, noch hat sich die chemische Zusammensetzung der Gase geändert, die von den Fumarolen im Bereich der Solfatara ausgestoßen werden. Wäre Magma bis kurz unter die Oberfläche aufgestiegen, würde man einen erhöhten Schwefeldioxid-Ausstoß erwarten.
Was die Bodenhebung anbelangt, bin ich skeptisch und gehe davon aus, dass wir in den nächsten Stunden schon eine Verstärkung der Hebungsrate sehen werden: Wahrscheinlich stand das starke Schwarmbeben mit magmatischen Fluiden in Verbindung, die die Deckschicht in 3 Kilometern Tiefe durchdrungen haben. Es dauert natürlich eine Weile, bis das Material durch die Risse aufsteigt und sich in den schwammartigen Ablagerungen des Hydrothermalsystems akkumulieren und so den Untergrund anheben.
Wenig Vertrauen schaffen da einige Aussagen von Politikern, die in lokalen Medien verlautbart wurden, indem man die aktuelle Krise mit jener von 1982/84 vergleicht. Zwar ist es richtig, dass die Bodenhebungsrate damals deutlich höher war als jetzt und zeitweise 92 mm pro Monat betrug (jüngste Messungen kommen aktuell auf 20 mm), doch was die schiere Anzahl der Erdbeben anbelangt, lag der April tatsächlich auf gleichem Niveau wie damals, als pro Monat knapp 1300 Erschütterungen detektiert wurden. In den Berichten ist oft zu lesen, dass es im April nur ca. 450 Beben gewesen sein sollen. Doch diese Zahl bezieht sich auf Erdbeben, die in Schwärmen auftraten. Also, entweder werden unbeabsichtigt falsche Zahlen verbreitet, oder man will beruhigen.
Generell muss man sich auch fragen, was die früheren Bradyseismos-Phasen von der aktuellen Phase unterscheidet. Die letzten Phasen dauerten meistens selten länger als 2 Jahre, während die aktuelle Phase bereits 19 Jahre anhält. Dafür läuft sie deutlich langsamer ab, wobei in den letzten Jahren eine deutliche Beschleunigung zu sehen ist. Man darf sich natürlich auch fragen, ob man im letzten Jahrhundert genau genug gemessen hat, um die langsamen Anfänge einer neuen Phase mitzubekommen. Geht man davon aus, dass vermehrt magmatische Fluide freigesetzt werden, wenn sich im tieferen Untergrund eine größere Magmamenge ansammelt, dann sieht es so aus, als wäre bei früheren Phasen eine Magmablase aus der Tiefe aufgestiegen und hat in 4-5 Kilometern Tiefe ihren Aufstieg gestoppt. Jetzt sieht es eher nach einem kontinuierlichen Zustrom von Magma aus dem tiefer gelegenen Magmenkörper aus, so dass sich über die Jahre hinweg eine kritische (eruptionsfähige) Menge Schmelze ansammeln könnte. Kurzum: Je länger der Prozess anhält, desto größer die Ausbruchswahrscheinlichkeit. Einen VEI7-Ausbruch (Supervulkanausbruch) sehe ich noch nicht anstehen. Sollte die Hebung aber noch Jahrzehnte anhalten, kann ich mir so etwas auch vorstellen.