Am Freitag dem 15.03.2013 mehrten sich die Anzeichen dafür, dass der nächste paroxysmale Vulkanausbruch am Ätna nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen würde. Das Seismogramm zeigte Signale leichter Explosionen in einem der Gipfelkrater. In der Nacht zum Samstag waren auf der LiveCam rot illuminierte Wolken zu sehen, die über dem Gipfel des Vulkans schwebten. Indizien für strombolianische Eruptionen. Zum Glück hatte ich bereits eine Woche zuvor einen Flug für Samstag gebucht, genau in der Hoffnung einen dieser Paroxysmen zu erwischen.
Am Samstag landete ich gegen 10 Uhr morgens in Catania und gleich erreichte mich eine SMS von Chris: „Paroxysmus hat angefangen“. In Windeseile sprang ich in den Mietwagen und raste die Straße zum Refugio Sapienza hinauf, immer Richtung Vulkan schielend, der sich aber in Wolken hüllte. Getrieben von der Angst, den Ausbruch wieder einmal knapp zu verpassen, schnappte ich mir oben angekommen, meinen Trekkingrucksack und fuhr mit der Seilbahn zur Montagnola. Wundersamer Weise wurde es klarer, je höher ich kam. In der Gondel schaukelnd sah ich einen der Dampfringe in den Himmel steigen, wie sie für den Ätna typisch sind. Von einer Eruptionswolke war nichts zu sehen und bei mir stieg die Hoffnung, doch nicht zu spät zu kommen.
Von der Montagnola aus stiefelte ich durch den Schnee Richtung Gipfel. Von der Basis des 2001 entstandenen Kraterkegels „Laghetto“ aus konnte ich einen ersten Blick auf den „Neuen Südostkrater“ erhaschen. Pulsierende Gasströme deuteten auf leichte strombolianische Aktivität hin, also befand sich der Vulkan noch in einem frühen Stadium des Ausbruches. Durch den Schnee stapfte ich Richtung „Torre del Filosofo“ und musste einige Passagen mit Tiefschnee überwinden. An einigen Stellen versank ich bis zu den Oberschenkeln im Schnee. Im Falle einer schnellen Flucht wäre das recht hinderlich. Weiter im Osten Richtung „Valle del Bove“ war der Schnee weniger tief und ich suchte mir eine geeignete Fluchtroute, denn eines war klar: die Hauptphase eines Paroxysmus konnte man bei dem herrschenden Nordwestwind nicht in unmittelbarer Nähe zum „Neuen Südostkrater“ aussitzen.
Ich bezog in dem Bereich Stellung, an dem die Jeep-Piste, die jetzt freilich unter dem Schnee begraben lag, auf die Hochebene vor dem Kraterbereich mündet. Diese Stelle ist noch ca. 800 m vom „Neuen Südostkrater“ entfernt. Von hier aus könnte man schnell über einen Bereich mit angefrorenem Schnee talwärts flüchten.
Im Laufe des Nachmittags nahmen Häufigkeit und Stärke der strombolianischen Eruptionen zu und bei eisigem Wind wartete ich auf den Hauptausbruch. Mit einsetzten der Abenddämmerung begann dieser dann. Als Startsignal für den eigentlichen Paroxysmus kann man die Bildung eines Lavastroms heranziehen, der langsam die Scharte im neuen Kraterkegel hinabfließt. Eine dreiviertel Stunde später steigerten sich die strombolianischen Eruptionen zu einer kontinuierlichen Lavafontäne. Schubweise nahm sie an Größe zu. Gleichzeitig begann eine Wolke aus Lapilli und Vulkanasche aufzusteigen. Der Wind trieb sie über die Scharte hinaus und der obere Teil des Lavastroms wurde von ihr verhüllt. Ich stand gefährlich nahe am Grenzbereich des Aschefallouts und ich fürchtete bald im Regen glühender Lavabrocken zu stehen.
Innerhalb weniger Minuten steigerte sich der Ausbruch derart, dass die gesamte Kegelflanke des „Neuen Südostkraters“ zu glühen schien. Dicht an dicht prasselten die glühenden Steine aus dem Bauch der Erde auf ihn nieder. Explosionen trieben große Lavabomben aus dem Krater. In einer ballistischen Kurve stiegen sie in den Himmel um dann Richtung Boden zu stürzen. Einige Querschläger landeten auf der Nordflanke des Kraterkegels von 2003 und damit südlich vom „Torre del Filosofo“. Für mich ein unmissverständliches Signal den geordneten Rückzug anzutreten. Wohlweißlich hatte ich bereits meine Spikes unter die Stiefel geschnallt und meine 7 Sachen beisammen. So begann ich im Laufschritt die Flanke hinab zu zischen. Ich hörte statisches Knistern und sah einen großen Blitz aus der Eruptionswolke zucken. Der Lichtschein besonders starker Lavapulse ließ den Schnee vor mir aufglühen. In diesen Momenten drehte ich mich eiligst um und hielt nach anfliegenden Lavabomben Ausschau. Tatsächlich schlugen diese bereits auf halber Strecke zwischen mir und meiner vorherigen Position ein. Diese wurde von glühenden Lapilli eingedeckt. Gut 300 Meter westlich bemerkte ich zwei andere Gestalten, die vor dem Inferno flüchteten und offensichtlich mit Tiefschnee zu kämpfen hatten. Große Lavabomben floppten ca. 50 m hinter ihnen in den Schnee. Die Situation wurde brenzlig. Mein Weg führte mich zu weit Richtung „Valle del Bove“ und somit unter die Eruptionswolke, daher korrigierte ich meine Fluchtrichtung und eilte nach Westen. Dort geriet ich allerdings auch in Tiefschnee, was mein Vorankommen ausbremste. Ich hatte in den vergangenen Minuten aber schon einiges an Distanz gewonnen und so konnte ich mich wieder auf das fantastische Naturspektakel konzentrieren. Die Lavafontäne stieg gut 500 Meter hoch auf. Wie ein roter Vorhang prasselten glühende Lapilli in südöstlicher Richtung. Dunkelheit verbarg den größten Teil der Eruptionswolke, doch sie musste mehrere Kilometer hoch sein. Noch plötzlicher, wie die Lavafontäne entstanden war, sank sie wieder in sich zusammen. Es setzte wieder strombolianische Tätigkeit ein. Einzelne Explosionen donnerten aus dem Förderschlot und verteilten die Lava kugelförmig. Einige Lavabomben schlugen in mehr als 1 km Entfernung zum Krater ein. Was für ein Feuerwerk! Nach wenigen Minuten endete auch diese Phase. Der Kegel des „Neuen Südostkraters“ glühte noch für Stunden.
Eine Pistenraupe kam den Hang hinauf gerattert und fuhr mich in der Dunkelheit fast um. Sie zischte an mir vorbei und stoppte bei den einheimischen Kollegen, die hier wohl auch Aufnahmen gemacht hatten. Sie wurde von den Betreibern der Seilbahn abgeholt. Ich beschloss die klare Nacht hier oben zu verbringen und baute mein Zelt am Fuße des „Laghetto“ auf. Ich genoss die geheimnisvolle Atmosphäre des Vulkans, welche durch die Einsamkeit noch verstärkt wurde.
Am nächsten Morgen stieg ich über die Schipisten wieder ab und fuhr Richtung Zafferana und Milo. Die Straßen und Dächer der Ortschaften hüllten sich unter eine schwarze Lavadecke. Gut 1 cm hoch hatte sich die Tephra hier abgelagert. Räumtrupps waren mehrere Tage damit beschäftigt, die wichtigsten Straßen wieder zu räumen. Über Feinstaubbelastung spricht hier sicherlich niemand und über zerkratzten Autolack regt man sich besser nicht auf. Für die Menschen stellen die Ausbrüche des Ätnas eine harte Belastungsprobe dar, besonders, da nach dem Ausbruch vor dem Ausbruch ist.
Wow, toller Bericht – phantastische Bilder.
Und dank der präzisen Ortsangaben auch für Ex-Ätna-Besucher lebhaft nachzuvollziehen.