Eine Reportage von Tobias Luschner
An der Refugio Sapienza fühlte ich mich in diesen Stunden wie ein Spion, oder besser: Wie ein Actionheld in geheimer Mission. Getarnt mit Schlapphut und ultracooler Sonnenbrille. Wohl kaum einer der vielen Leute hier ahnte etwas von der bevorstehenden Eruption. Ich schon. Völlig entspannte Tage lagen hinter mir: Nach der schlaflosen Nacht am Stromboli traf ich mich in Nicolosi mit Marco Fulle, verabredete mich mit ihm selbstbewusst zum Südostkraterausbruch heute Nachmittag und schlief rekordverdächtige 13 Stunden ohne Unterbrechung. Tags darauf schlenderte ich an der Nordseite umher, sah von Asche und Lapilli gebeutelte Ortschaften, glaubte in diesen Stunden aber noch nicht, dass sich der Berg wieder aktivieren würde. Jetzt, hier und heute – dessen war ich mir irgendwie völlig sicher, auch wenn das eigentlich niemand wissen konnte. Zwar gab es noch keinerlei seismische Signale bisher, aber für diese Nacht konnte es noch reichen. Ich kaufte Lavaschildkröten, aß Pasta, organisierte drei Liter Wasser und zwei Schinkensandwiches. Es wurde Zeit die Tarnung aufzugeben: Der Kampfrucksack im Tausch gegen Sonnenhut und Sonnenbrille. Seilbahnstation, 25 Euro abdrücken, Seilbahnfahrt, bitte in der Mitte sitzen, Endstation, Nebel.
Vor dreizehn Jahren hatte ich bei ähnlichem Wetter zur gleichen Uhrzeit hier draußen gestanden und es war bereits das Fauchen des beginnenden paroxysmalen Ausbruchs zu hören. Vor sechs Tagen thronte, als ich hier nachts mit letzter Kraft hinaufgekrochen kam eine tosende, alles hell erleuchtende Glutfontäne – und jetzt? Nichts. Keinerlei Anzeichen vulkanischer Tätigkeit. Ich beschloss ins Gebäude zurückzukehren, einen Espresso zu trinken und weiterzurechnen. Würde die Eruption jetzt beginnen, wäre der Kulminationspunkt der Tätigkeit gemessen am Verlauf der vorherigen Paroxysmen wohl in den Morgenstunden erreicht. Aber nichts tat sich. Es war kurz vor zwei Uhr Mittag, da brachte das Handy meine Hose zum Summen. Es war Marco. Seine SMS-Nachricht lautete: „SEC has very rare explosions.“
Das hörte sich zunächst einmal enttäuschend an. Bei näherer Überlegung ließ es jedoch wahrscheinlich erscheinen, dass ich in dieser Nacht zumindest irgendetwas zu sehen bekommen würde. So entschloss ich mich sehr gemächlich Richtung Gipfelregion aufzusteigen. Das Wetter hatte sich nicht gebessert. Immer noch waberten Nebelfelder durch die Kraterlandschaft. Nach etwa einer halben Stunde – kaum 50 Höhenmeter weiter – hörte ich erstmals ein Lebenszeichen des Südostkraters. Es war nicht mehr als ein dezentes Schnauben. Trotz der Höhe war es schön warm, das machte mich müde. Ich schlief sogar ein paar Minuten auf meinem Rucksack, döste weiter und belauschte das Fauchen des Vulkans. Eine kleine Gruppe junger Italiener befand sich auf dem Weg nach unten. Erst gingen sie an mir vorbei, dann drehte eine Italienerin um und fragte mich, was ich da mache.
„Och, ich warte auf den Ausbruch heute Nacht. Derweil schlaf hier noch ein bisschen.“
„Ha! Das ist gut!“, frohlockte sie lachend, „darf ich davon ein Foto machen?“, sie zog ihr Handy aus der Tasche.
„Klar, du musst es mir aber auch schicken. Ich schick dir dann eins vom Ausbruch.“
„Ja logisch. Das ist ja echt klasse“, freute sie sich.
Fröhlich schäkernd zogen sie davon – für mich ein Signal ein bisschen weiter aufzusteigen. Nach einer Weile nahm der Wind zu und wurde so kräftig, dass ich für die nächste Rast einen geschützten Ort suchte. Fündig wurde ich bei einem Schaufelbagger, der am Wegrand offenbar schon bereit stand, um die Schuttpiste nach dem nächsten Paroxysmus wieder freizuschaufeln. Ich hockte mich in die Schaufel. Trotz des Windes waren immer wieder Eruptionen des Südostkraters zu hören. Sie erfolgten in kurzen Serien, welche von minutenlangen Pausen unterbrochen waren. Meistens nahm ich nur ein voluminöses Fauchen wahr, in seltenen Fällen mischte sich jedoch auch ein Grollen darunter. Sichtbare Zeichen gab die Vulkantätigkeit nicht, da eine dichte Wolkendecke über den Kegel hinweg zog. Wie viel Zeit blieb mir noch bis zu meinem Rückflug morgen und wie lang würde es noch bis zu einem möglichen Paroxysmus dauern? Hatte sich die Aktivität verstärkt, oder hörte man wenige hundert Meter vom Fuß des Kraters entfernt nur deutlicher? Ich erwartete sehnsüchtig eine Meldung über seismische Regungen.
Mitten in eine der keinen Explosionsserien mischte sich ein Donnerschlag. Ich fuhr hoch, fixierte den Südostkrater und lauschte gebannt. Durch die Wolken war nach wie vor nichts zu sehen, doch im Nebel musste ein Regen von Gesteinsblöcken niedergehen. Ganz deutlich hörte man ihr Prasseln und Kollern. Ohne auch nur eine Sekunde zu verschwenden setzte ich den Rucksack auf und raste die letzten Meter hoch bis ich den Kegel erreicht hatte. Gespannt forschte ich gleich nach weiteren Anzeichen der Tätigkeit, doch pfiff einem nur lauter und nun auch noch wechselnder Wind um die Ohren. Einige Solarstationen speisten hier installiertes Überwachungsequipment. Es war niemand außer mir am Kegel, aber das würde sich schon noch ändern, falls der Etna zu einem weiteren paroxysmalen Ausbruch ausholen würde. Ich erspähte einen Trampelpfad zum Kegel hin und wunderte mich etwas darüber, dass kein Schild einem den weiteren Marsch untersagte. Es machte aber auch keinen Sinn eins aufzustellen, da es sowieso immer wieder zerbombt würde. Ebenso gefährdet durften die Solarpanels sein. Ich entschied mich für Brotzeit. Angestrengt lauschte ich dabei nach vulkanischen Regungen, konnte aber zunächst nichts mehr ausmachen. Ein Jeep kreuzte auf und ein paar Typen stiegen aus. Es schien sich um Wissenschaftler zu handeln, da sie gleich damit begannen, an den Messstationen herumzudoktern. Auf meine Nachfrage bekundeten sie, dass sie „nur Seismologen“ seien. Sie würden ein neues Messinstrument installieren und dann wieder verschwinden. Vom Vulkan hätten sie keine Ahnung, erklärte mir einer der fünf Bastler. „Naja“, dachte ich „vielleicht wollen sie mir ja auch nur nicht auf die Nase binden, dass hier ein Ausbruch bevorsteht.“ Jedenfalls hatte sich der Südostkrater inzwischen wieder deutlich zurückgemeldet. Ständig fauchte und grummelte es. Bald waren die Seismologen mit ihrer Installationsarbeit fertig und verschwanden.
Etwas tat sich hier, das war überdeutlich. Wie ein schwer atmender Riese prustete der Vulkanschlot. Marco musste unten irgendetwas an den seismischen Daten erkennen können. Erst wollte ich ihm schreiben, dass ich glaubte der Paroxysmus fange bald an. Dann entschied ich mich einem so erfahrenen „Vulkanikus“ gegenüber gegen die Mutmaßung und schrieb die SMS: „I am at the SEC. It is noisy.“
„How noisy?“, kam prompt die Rückmeldung
„Almost permanent small explosion sounds insight. Some are bigger”, postete ich.
“Do you see bombs?”, wollte Marco jetzt wissen.
“Just one time I heard them landing.”
Fast gleichzeitig kam von Sonja die Mitteilung: „Eventuell steigt der Tremor minimal.“ – strombolianische Tätigkeit ohne deutliche seismische Signale also. Das konnte noch lang dauern. Ich rechnete wieder. Es war nach sechs Uhr abends. Es würde sich wahrscheinlich mindestens bis in die Morgenstunden hinziehen. Doch eigentlich bestand wirklich kein Grund enttäuscht zu sein: Der Kegel war heftig in Aktion und nachts würde ich sicher Feuer zu sehen bekommen. Das war mir genug. Ich entschied mich dem Trampelpfad zu folgen. Dieser führte zum einen in Richtung der Lavafelder, die sich bei den Ausbrüchen ins Valle del Bove ergossen. Zum anderen erreichte man den Bereich einer Scharte, die den Kegel weit durchzog. Aus ihr traten bislang die Lavaströme hervor. Der Pfad schlängelte sich ein Stück den Kegel hinauf, bis man auf die frischen Lavafelder traf. Ganz so weit wie erhofft, konnte ich am Ende des Weges nicht in den Kegel hineinschauen. Aber über das frische Lavafeld erwies sich ein Vorankommen als unmöglich. Die Hitze, welche von unten durch die erstarrte Oberflächenkruste drang war einfach zu groß. Dennoch fand ich darauf einen ganz gut abgekühlten Platz mit brauchbaren Sitzgelegenheiten. Ich deponierte meinen Rucksack, stellte mein Stativ auf und brachte die Kamera in Position. Die erste Explosionsserie erschien von hier aus betrachtet auch gleich wesentlich imposanter: Unzählige fliegende Blöcke waren zu sehen. Ich setzte meinen Helm auf. Doch immer wieder folgten auch Ruhephasen. Ob sich die Tätigkeit wirklich steigerte war auch hier in Schlagdistanz zum aktiven Schlot nicht zu erkennen.
Ich ging sicher davon aus, dass ich hier nicht allein bleiben würde. Marco und ein paar seiner Vulkankumpels würden sich doch den Paroxysmus nicht durch die Lappen gehen lassen! Allerdings durfte mir in der Zwischenzeit absolut nichts passieren. Entsprechend vorsichtig war ich bereits hierher gegangen und jetzt, da es dämmrig wurde überlegte ich, ob ich den Weg zurück zur Piste auch sicher wiederfinden würde. Ich wog ab, dass es sicherer wäre, schon vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurückzumarschieren. Anderseits könnte man später mit etwas Glück sehen, wie die Lava aus der Scharte hervorbrechen würde. Ich entschied zu bleiben, allerdings den Weg zur Messstation nochmals zu gehen, um mir den Verlauf besser einzuprägen. Zunächst wurde ich jedoch schier zum Bleiben gezwungen, da mit einem Mal ein Schub neuer Aktivität einsetzte. Fast unablässig schnaubte und fauchte der jetzt befremdlich abweisend und unheimlich wirkende Südostkrater. Gleich regneten überall innerhalb des Kegels Blöcke nieder, das Geräusch ihrer Aufschläge und ihr Poltern wurde von nun an mein ständiger akustischer Begleiter. Einige Bomben waren groß. Ihr Glühen war zu erkennen. An den Kraterinnenwänden wirbelten kleine Erdrutsche Staubwolken auf. Ein starkes Glücksgefühl machte sich in mir breit: Der Paroxysmus würde eintreten, dessen war ich mir jetzt sicher. Ich schrieb Marco: „From the scar, you see lots of bombs!“ Der rief gleich darauf an und berichtete, dass sie im Lauf des Abends noch hochkommen würden. Derweil schmolz irgendetwas gummiartiges an mir oder um mich herum. Ich konnte die Quelle jedoch nicht ausmachen. So schnupperte ich aufmerksam. „Erinnert an Grillen am Lagerfeuer“, sinnierte ich, als mir auffiel, dass ich pinkeln musste. Ich schiffte daher munter mit dem Wind im Rücken gen Valle del Bove. Der drehte dabei unvermittelt um 180 Grad…(„so wird das hier ja noch zur wahren Heldengeschichte“, dachte ich mir.)
Kleine, glühende Schlackenfontänen, mal 50, mal 100 Meter hoch. Tosender Südostkrater. Erste Blöcke landeten außerhalb des Kegels auf den Hängen. Es fiel mir richtig schwer, mich von dem Anblick zu lösen. Aber würde ich den Weg nicht sofort nochmals beschreiten, es wäre zu spät. Die Nacht brach herein. So ließ ich alles stehen und liegen und marschierte zurück, prägte mir den Verlauf des Pfades genau ein. An etwas unübersichtlichen Stellen des nachts zweifellos schwer begehbaren Geländes stellte ich noch ein paar Steinmänner als zusätzliche Orientierungspunkte auf. Immer noch kein Mensch weit und breit – unglaublich. Alles musste so sicher wie möglich sein.
Der Berg lebte. Die Höllenpforte tat sich vor meinen Augen auf und entließ mit schaurigem Getöse die Dämonen aus dem Erdinneren. Klar, solange niemand etwas messen und naturwissenschaftlich bewerten konnte, mussten den Menschen zu solch einem Spektakel derartige Assoziationen einfallen. Der Vulkan stieß aus zwei Schloten nahezu ununterbrochen Feuergarben aus. Im Kessel erschien eine permanente Glut. Die Atmosphäre hatte am Abend aufgeklart, die in die Höhe schießenden Glutfontänen erzeugten ein atemberaubend schönes Schauspiel. Alle Erwartungen hatten sich für mich bereits erfüllt, was kommen sollte, wäre eine Dreingabe. Die Glut im Inneren des Kegels verstärkte sich von Minute zu Minute. Bald trat, wie ich es erwartet hatte, ein Lavastrom aus der Kegelöffnung direkt vor mir aus. Zunächst langsam, dann immer mehr Nachschub aus dem Inneren des Kessels erhaltend drang die Lava vor. Begleitet wurde sie von immer heftigeren Explosionen und grellen Schlägen. Wieder erfolgte das typische Fauchen und Donnergrollen mischte sich dazu. Einzelne ausgestoßene Blöcke flogen in unberechenbare Höhen.
Sonja schrieb: „Tremor steigt jetzt stark, bleib lieber weg. Du hast es ja schon gesehen.“ Ich grübelte erst, was ich schon gesehen haben sollte, bevor ich auf die Antwort „einen Südostkraterparoxysmus“ kam. Dann versuchte ich das sich vor meinen Augen ungebrochen weiter ausufernde Höllenspektakel mit der Nachricht in Einklang zu bringen. Schon komisch. Sollte nicht eigentlich eine Art Stagnationsphase erfolgen, bevor der Paroxysmus richtig beginnt? Die vorherigen Ausbrüche waren diesem Muster doch gefolgt. Eine gemächliche Entwicklung der Tätigkeit, die mir so wahrscheinlich erschienen war, vollzog sich aber nicht. Stattdessen regneten Glutschlacken immer öfter auch direkt auf die Hangseite nieder, auf der ich mich befand. Der Lavastrom wurde schneller und schneller und verbreiterte sich enorm. Es war glasklar Zeit hier zu verschwinden. In dem steilen und unwegsamen Gelände hätte ich keine Chance auf schnelle Flucht. Vulkanischen Bomben auszuweichen wäre unmöglich. Und lang würde es nicht mehr dauern, bis hier welche niedergingen. Der Wind begünstigte diese Seite des Kegels sowieso nicht. Die Tendenz wies nach Ost, oder Südost. Ich stand südöstlich. Kein Vergleich zum Ausbruch letzte Woche, als starke Winde die Auswürfe Richtung Osten trieben. Das Risiko hier war eindeutig zu groß. Ich packte also zusammen und verließ diesen sensationellen Aussichtspunkt. Etwas in mir sträubte sich jedoch: „Bleib hier, Feigling. Du kannst nicht gehen. Schau der Lavastrom. Wahnsinn!“, doch ich widerstand.
Während des Rückzugs fuhren mir Wellen druckvoller Explosionen durch Mark und Bein und brachten dazu Güterwagonladungen Glutschlacken zum Vorschein. Was ging hier nur ab? Es schien alles ungebremst in die Eskalation zu führen. Als ich die einfacher begehbaren Bereiche um die Solarstation erreicht hatte gab es keine einzelnen strombolianischen Eruptionen mehr. Zwei bis drei Schlote erzeugten Explosionen, wie ein wild gewordenes Bataillon, das aus allen Rohren feuerte, als gäbe es kein Morgen mehr. Das Donnern war permanent geworden. Was für eine Energie! Ich war gebannt, musste aber weiter. Da rief Sonja an, doch durch das Getöse verstand ich nichts. Ich schrie in den Hörer, dass alles heftig sei und ich jetzt nicht telefonieren könne, weil ich weg müsse. Ich umrundete den Südostkrater ein Stück, bis ich eine südwestliche Position, etwa hundert Meter vom Kegel entfernt eingenommen hatte. Ich stellte mein Stativ auf und filmte wieder.
Dann erschien etwas unwirklich Anmutendes: Wellen fast weißglühender Schmelze wogten an der Basis der Feuerfontäne. Sie tauchten auf und ab, verschwanden und erschienen wieder. Mit jedem Mal gewannen sie an Dimension. Dämonische Gesteinscluster. Doch noch etwas schlich mehr und mehr in mein Bewusstsein: Erst unterschwellig, dann in zunehmender Klarheit meine gesamte Aufmerksamkeit bannend: Lärm. Der Lärm einer totbringenden Hölle. Nicht das stete, wenn auch lauter werdende Grollen und Röhren der Schlote. Es war das Geräusch schubweise aufschlagender Unmassen von Glutschlacken auf den Vulkanhängen. Einen Teil dieser besonderen Akustik könnte man mit dem Lärm vergleichen, den es erzeugen müsste, wenn synchronisierte Lastwägen wieder und wieder gleichzeitig Tonnenladungen großer Kiesblöcke in eine Böschung abließen. Doch Kiesblöcke sind nicht verflüssigt. Schlacken klatschen dumpf auf den Boden. Sie erzeugen eine prasselnde Brandung als Zeugnis der verheerenden Umwälzung vulkanischen Materials. Für die lange Zeit eines unvergesslichen Moments hörte ich nur noch. Ich lauschte der schaurigen, düsteren Symphonie des Höllenfeuers. Von irrer Euphorie erfüllt, murmelte ich nur noch etwas vom absoluten Wahnsinn, doch wieder ermahnte mich eine innere Stimme: Du brauchst noch mehr Abstand.
Endlich erschien unten auf dem Weg ein Fahrzeug. Obwohl ich sonst recht scheu auf Vulkanen herumgeistere, war ich ob ein wenig Gesellschaft jetzt doch erleichtert. Ein paar Meter stieg ich nach unten und Richtung Westen, dann filmte ich wieder. Aber was bannte ich da nur? Dies war so außergewöhnlich, so überdimensional, so völlig unfassbar! Der erste Monsterjet einer vulkanischen Feuersäule brach hervor – breitete sich aus: Donnern das all den Höllenlärm noch schallend überdeckte, eine Hitzewallung; Feuer immer höher, 400, 500, 600 Meter! Die Eruptionssäule drehte langsam, aber deutlich in meine Richtung. Oder sie breitete sich einfach nur maßlos in alle Richtungen aus. Das war nicht zu unterscheiden. Die unirdische Höllensymphonie einschlagender Glutbrocken wurde lauter. Der Glutregen näherte sich unaufhaltsam. Dabei kam mir mit vollkommener Klarheit der einzig dieser Situation angemessene Gedanke: „Ach du Scheiße.“ Ich packte mein Stativ mit laufender Kamera in die eine, den Rucksack in die andere Hand und hetzte los. Erst hinab zur Straße, wo ich erkannte, dass der andere Mensch hier Wolfgang Müller war, der ebenfalls gerade seine Filmmaterialien zusammenpackte.
„Na wenigstens sieht der das genauso“, dachte ich „Hier wird gleich die Hölle losbrechen!“ Unten auf der Straße wollte ich erst bleiben und filmte wieder. Es hatte aber keinen Sinn, im Gegenteil: Erste riesige glühende Trümmer segelten umher und schlugen nicht unweit auf. Die Fontäne fächerte hunderte Meter weit aus und war mindestens ebenso hoch. Aber der Blick nach oben ließ mich nur staunend mit den Schultern zucken. Das Feuer war einfach überall am Himmel vor und über mir. Die Straße war nicht mehr vor dem Glutregen sicher. Ich rannte jetzt, machte Meter zwischen mir und dem Feuerregen gut, dachte ich. Dann klatschten wieder glühende Bomben vielleicht fünfzig Meter neben mir herunter. Mit einem Mal kam mir die Angst. Wenn das so weiterginge würde der nächste Schub die Straße erreichen. Müller war hinter mir auch losgefahren. Ab nach Westen, hinauf Richtung Bocca Nova. „Das gibt’s doch nicht. Wie konnte das nur so schnell gehen?“, dachte ich angesichts der totalen Eskalation. Der Etna hatte richtig ernst gemacht. Heavy metal. Kein Mensch konnte dieses Gebiet noch erreichen. Als ich zurückblickte, sah ich erste Blöcke aus dem Glutregen die Regionen um die Straße erreichen. Da, wo ich vor wenigen Minuten noch gestanden hatte regneten jetzt Glutbomben! Die Fontäne war abartig, unschätzbar hoch. Sie übertraf alles, was ich an einem Vulkan jemals zuvor gesehen hatte.
Etwa 500 Meter entfernt vom wütenden Schlot glaubte ich meine Flucht beendet, war aber verunsichert. Es trennte mich ein kleiner Sattel des alten, inaktiven Teil des Südostkraters von der Hölle. Wie um mich eines Besseren zu belehren gewann die Glutfontäne nochmals an Höhe und eine Ladung Glutschlacken brandete über den Sattel und landete vor mir. Und für einen winzigen Moment wünschte ich, dass der Ausbruch doch bitte wieder aufhören sollte und verkroch mich hinter meinem Rucksack. Doch was dachte ich mir nur? So ein Quatsch! Dafür war ich doch hier! War das fantastisch. Die größte Show der Welt. Ich stand auf und legte den Rucksack beiseite.
Dimensionen, die kein Mensch fassen oder beschreiben könnte. Fanatische Feuersbrunst. Hitze, spürbar einen halben Kilometer von der Glutsäule entfernt! Energiewellen, Donnerschübe so laut, so kraftvoll, keine Worte mehr. Keine Superlative existent. Vibrierte der Boden? Wohin stieg das Feuer eigentlich noch? Wo landete es wohl wieder? Keine Idee. Die Taschenlampe konnte ich wegpacken, es war hier taghell. Fernab der Vernunft, abseits der Naturwissenschaft, verweht auf den Planeten Etna schrumpfte ich zu mikroskopischer Größe. Ich hatte keinen Sinn, war nichts mehr. Vor mir fand das Weltwunder statt, erzeugt von wahrhaftiger Macht. Fantastisch.