Vor 20 Jahren gab es die letzte wirklich große Flankeneruption am Ätna. Sie erlangte nicht nur große mediale Aufmerksamkeit, sondern richtete auch vergleichsweise große Zerstörungen an. Die Eruption stellte eine Zäsur für den Tourismus im Norden des Vulkans dar, denn praktisch die gesamte Touristen-Anlage an der Piano Provenzana wurde Opfer der Lava. Von den Einnahmen des Tourismus lebten viele Menschen der Ätna-Nordflanke und des Ortes Linguaglossa, sodass sich das Leben dort auch veränderte. Obwohl die Anlage Etna Nord in kleinerem Umfang wieder aufgebaut wurde, erreichte sie nie mehr die Bedeutung von früher. Dafür geht es dort beschaulicher zu, als im Süden des Vulkans und man kann sich abseits des Massentourismus bewegen. Landschaftlich gefällt mir persönlich die Ätna-Nordseite besser als der Süden, denn die Seite des Vulkans ist bis hin zur Touristenstation bewaldet.
Die große Ätna-Flankeneruption 2002
Doch was war damals geschehen? Am 26. Oktober 2002 begann ein starker Erdbebenschwarm unter der Nordostflanke des Ätnas und es entstanden erste Risse, die sich schnell erweiterten. Kurz vor Mitternacht öffneten sich dann große Eruptionsspalten oberhalb von Piano Provenzana und der Vulkanausbruch begann. Die Spalten lagen in Höhen zwischen 2500 und 1850 m und waren mit der bekannten Pernicana-Störungszone assoziiert. Lavafontänen stiegen in den Himmel und Lavaströme wälzten sich über die Flanke und erreichten in kurzer Zeit die Touristenstation und zerstörten sie komplett. Doch dem nicht genug, manifestierte sich am 29. Oktober ein Erdbeben der Magnitude 4,4. Das Epizentrum lag beim Ort Santa Venerina und richtete dort beachtliche Schäden an. Mehrere ältere Häuser stürzten komplett ein. Zahlreiche Häuser in einem Gürtel zwischen Acireale, Zafferana bis nach Giarre wurden beschädigt und konnten nicht mehr bewohnt werden. Gut 1400 Personen mussten ihre Wohnungen verlassen und wurden in Notunterkünften untergebracht. Die Vulkanologen vom INGV fanden heraus, dass sich die gesamte Vulkanflanke angefangen hatte zu bewegen, was große Besorgnis auslöste, denn die Befürchtung stand im Raum, dass die Ostflanke abscheren könnte. Dieses Ereignis blieb zum Glück aus. Die Eruption auf der Ätna-Nordseite dauerte bis zum 5. November. Als sie langsam abnahm, öffnete sich auf der Oberseite der Südflanke Eruptionsspalten. Es bildeten sich mehrere Schlote heraus, die kurz unterhalb der Gebäude am Torre del Filosofo lagen. Neben Lavafontänen und Aschewolken wurden mehrere Lavaströme gefördert. Schon bei der Flankeneruption im Vorjahr hatte sich die Landschaft dramatisch geändert, was bei der Eruption von 2002 nochmals getoppt wurde. Während die Lavaströme auf beiden Seiten des Vulkans ein Gesamtvolumen von gut 30 Millionen Kubikmeter Lava förderten, brachten die Explosionen fast 50 Millionen Kubikmeter Tephra hervor. Ein Superlativ für den Ätna. Die Eruption endete am 28. Januar 2003.
Wie ich den Vulkanausbruch erlebte
Ich erreichte den Vulkan am 4 Tage nach Eruptionsbeginn und fand die Ätna-Nordseite in einem Ausnahmezustand vor. Alles war abgeriegelt und es bestand keine Möglichkeit bis zur Lava vorzudringen. An den Straßensperren fragte ich mich bis zum Operationszentrum durch und besorgte mir eine Sondergenehmigung. Zusammen mit meiner damaligen Partnerin machte ich mich auf den Weg zur Piano Provenzana. Den Wagen mussten wir in einiger Entfernung parken und gut 3 km durch den Pinienwald marschieren. Am Lavastrom angekommen guckte ich ziemlich verdutzt, denn die ehemalige Touristenstation war vollkommen eingeebnet. Natürlich wollten wir bis zum Eruptionszentrum vordringen und mussten dafür die frischen Lavaströme queren. Sie waren ziemlich breit und die flimmernde Luft über ihnen signalisierte, das sie noch verdammt heiß waren. Eine wahre Freude ist es nie, über Aa-Lava zu gehen, erst recht nicht, wenn die Schuhsohlen heiß werden und es nach verbranntem Gummi riecht. Zu allem Überfluss gerieten wir in eine Zone, in der sich die Lava noch leicht bewegte. Umkehren kam aber nicht infrage und so schafften wir es dann zum aktive Förderschlot. Das ganze hatte schon was Kraft-mäßiges, als wir gut 100 m vom aktiven Schlot entfernt standen und die Explosionen filmten. Kurz bevor es dunkel wurde, machten wir uns auf den Rückweg, querten die Lavastrom und marschierten über kleine Waldwege zurück zum Auto. Nicht ohne uns im dunklen Pinienwald zu verlaufen, trotzdem schafften wir es irgendwie zurück. Vielleicht ist es noch erwähnenswert, dass ich zu dieser Zeit gerade zum ersten Mal ein Handy dabei hatte, was natürlich ausgerechnet dann klingelte, als wir die heißeste Zone des Lavastroms querten. Natürlich ging ich trotz dampfender Sohlen dran, was zu einigem Kopfschütteln führte.
Am nächsten Tag dokumentierten wir das Treiben in den Orten, deren Anwohner sich bedroht fühlten. Man startete eine Prozession mit einer Figur der Jungfrau Maria, um die Lava zu stoppen. Scheinbar hatte Gott ein Ohr und stoppte am Folgetag tatsächlich die Lava auf der Ätna Nordseite. Zu dieser Zeit waren wir mit einem RTL-Team unterwegs. Das Wetter war schlecht und wir konnten nur die atmende Lava am Rand des großen Lavastroms filmen, der langsam zu versiegen schien. Uns kam das Gerücht zu Ohren, dass auf der Ätna-Südseite Eruptionen begonnen hätten. Da unser Team in Begleitung des Sohns des Seilbahnbetreibers von Ätna Süd war, konnten wir über die Forststraßen zischen, die sonst gesperrt sind. Während die Fernseh-Leute in einem Jeep unterwegs waren, jöckelten wir in unserem geliehen Fiat Uno hinterher, schafften die Strecke aber dennoch, was die Einheimischen verwunderte. An der Seilbahnstation angekommen, hörten wir das Grollen von Eruption. Aber das Wetter war schlecht und an einem Aufstieg nicht zu denken. Er gelang uns erst 2 Tage später. Wir versanken bei jedem Schritt tief in die frische Tephra und wagten uns bis zum Krater vor, der im Vorjahr entstanden war. Der Anblick der Lavafontänen und Aschewolken, die von dem sich neu bildenden Kegel am Torre del Filosofo ausgingen war atemberaubend. Ein Stück Schöpfungsgeschichte unseres Planeten und gleichzeitig eine Säuberung, bei der die Hinterlassenschaften des Menschen ausradiert wurden. Damals dachte ich, dass ich so etwas noch öfters am Ätna erleben würde, doch dem war bis jetzt nicht so. Umso kostbarer erscheinen mir die Erinnerungen an diesem Ereignis, dass heute vor 20 Jahren begann.