Im Sommer 2010 machten erste Meldungen vom Erwachen des Vulkans Merapi auf Java die Runde. Die Erdbebentätigkeit am Vulkan nahm zu, ebenso die Hangneigung. Magma war auf dem Weg zur Erdoberfläche. Die Regierung stellt der Region Geld zur Verfügung um marode Straßen und Brücken an der Flanke des Vulkans zu sanieren, damit im Notfall die Wege für Evakuierungen frei waren. Im September wurden die Vulkanologen sichtlich nervös, da ihren Messungen zufolge der Druck im Vulkan immer höher wurde. Eine große Eruption schien wahrscheinlich. Am 26 Oktober 2010 war es dann soweit: explosive Eruptionen bliesen Teile des Domes aus dem Krater des Vulkans. Schuttlawinen und Pyroklastische Ströme wälzten sich 10 Kilometer die Flanken hinab und zerstörten ein Dorf. Obwohl die Behörden bereits Tage zuvor evakuiert hatten, befanden sich zahlreiche Menschen vor Ort. Die meisten von ihnen starben in der Hitze der Glutwolken. Am 3. November zerstörten weiter Wolken aus Gas, Staub und Gesteinstrümmern Siedlungen in 15 Kilometern Entfernung. 2 Tage später überrollte ein Pyroklastischer Strom sogar ein Dorf in 20 Kilometern Entfernung vom Krater. Die Vulkanologen wurden von der Reichweite der Pyroklastische Ströme überrascht und passten die Größe der Evakuierungszone zu spät an. Insgesamt starben mehr als 350 Menschen.
Nach wenigen Fahrminuten standen wir vor einem provisorischen Schlagbaum. Allein war hier kein weiterkommen mehr. Andy und sein Freund Samir ließen ihre Kontakte spielen und als Pressevertreter durften wir einen Militärtrupp auf Streife durch die Dörfer begleiten. Das Bild, dass sich und bot, war depremierend: in meiner 20-jährigen Laufbahn als Geonaut und Vulkanfilmer hatte ich noch nie so eine Zerstörung gesehen. Zwar war ich schon in den zerstörten Ortschaften Plymouth und Chaiten unterwegs gewesen, aber dass hier war frisch. Die Pyroklastischen Ströme hatten eine gut 800 m breite Schneise der Zerstörung hinterlassen. Alles, was sich im Kernbereich der Schneise befand war verbrannt und geschliffen, unter meterhohen Ablagerungen aus Geröll und vulkanischer Asche begraben. Im Randbereich der Zerstörungszone ragten Ruinen unterschiedlichen Zerstörungsgrades aus dem heißen Boden. Der Wald war verbrannt und selbst 100 m von den Ablagerungen entfernt, war das Laub der Bäume vertrocknet. Unerträglicher Verwesungsgeruch machte jeden Atemzug zu einem ekelerregenden Ereignis. Neben zahlreichen menschlichen Opfern, die noch unter der Vulkanasche begraben lagen, verwesten Tausende Rinder, Ziegen und Hühner in den verbrannten Stallungen der Bauernhöfe. Es war windstill und eine gespenstische Ruhe lag wie ein Leichentuch aus Stille über der Szenerie. Die Stille wurde nur durch das elektronische Pfeifen aus Andys Funkgerät unterbrochen, das ein akustisches Warnsignal eines Seismographen empfing. Sollte sich das monotone Pfeifen in ein oszillierendes Geräusch verwandeln, drohte Gefahr. Das Geräusch sprach für Seismische Aktivität am Dom und je eindringlicher es wurde, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass neue Pyroklastische Ströme abgingen.
Wir gingen durch die Ruinenlandschaft des Dorfes, dass einmal Kali Adem war. Ich kannte den kleinen Ort noch von meinem Aufenthalt im Jahr 2006. Damals stand ich hier am Dorfrand und habe kleine Pyroklastische Ströme gefilmt. Ein tief eingeschnittenes Bachbett, das oben am Merapi entspringt, führt hier entlang. Genau dieses Bachbett stelle für die Pyroklastischen Ströme eine Autobahn dar. Vom Bach selbst war übrigens nichts mehr übrig, nur ein paar Dampffahnen markierten seinen ehemaligen Verlauf. Wir stöberten durch die Ruinen und wunderten uns über die zerstörerische Kraft der Pyroklastischen Ströme. Selbst am Randbereich der Zerstörungszone war die Hitze so groß gewesen, dass die Gehäuse von Fernsehapparaten und anderen Elektrogeräten geschmolzen sind. Bambus und Bäume knickten unter der Gewalt der Pyroklastischen Ströme wie Streichhölzer, ihre Stämme lagen alle Hangabwärts gerichtet. Plötzlich begann das akustische Warnsignal zu oszillieren und wir eilten zum Pickup. Im Eiltempo sprangen wir in den Wagen und machten uns so schnelle wie möglich aus dem Staub. Wobei schnell relativ war, denn auf den Wegen lagen zahlreiche Trümmer.
Einen Tag später begleiteten wir einen Rettungstrupp ins Katastrophengebiet und machten uns auf die Suche nach verschütteten Opfern. Es wurde von einem älteren Ehepaar berichtet, dass vermisst wurde. Nachbarn hatten sie in ihrem Wagen sitzen gesehen und vermuteten sie nun unter Asche begraben. Mit einfachsten Hilfsmitteln bahnten sich die Hilfskräfte einen Weg und begannen planlos in der Nähe eines Hauses zu Graben. Allerdings war klar, dass an dieser Stelle nicht genug Asche lag, um ein ganzes Auto zu bedecken. Der Offizier, der die Aktion leitete, beugte sich immer wieder über die Grabungsstelle und schnüffelte nach Verwesungsgeruch. Dieser hing sowieso in der Luft, da keine 100 m entfernt, ein ganzer Stall voller verbrannter Kühe stand. Die ganze Aktion erinnerte mich an Schaugraben für die angereisten Pressevertreter. Gefunden wurde nichts. Abend sahen wir dann im Fernsehen die Bilder von einem anderen Suchtrupp, der die Leichen gefunden hatte.
Die folgenden Tage verbrachten wir mit Interviews von Opfern der Katastrophe und filmten in den Krankenhäusern und Evakuierungszentren. Einmal mehr bewunderte ich die Gelassenheit, mit der die Indonesier dem Unglück begegneten. Überall wurde aufgeräumt. Am Tempel von Borobudur waren Hundertschaften damit beschäftigt, die Anlage von Asche zu befreien. Es begann zu regnen und nun drohte eine weitere Gefahr: Lahare. Der Regen mobilisierte die Vulkanasche auf den Vulkanhängen und schuf so Schlammlawinen die zu Tale rasten. Brücken und Straßen wurden einfach so weggespült. Natürlich wollte ich so einen Lahar filmen und wir postierten uns an einer Brück über einem Bach. Nach gut 2 Stunden des Wartens war es dann soweit: eine Flutwelle aus Schlamm, die Baumstämme und Felsbrocken mit sich führte kam um eine Biegung des Flusses gezischt. Als sie auf die Brück traf, an dessen Rand wir standen, wackelte das ganze Bauwerk. Ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, denn die Flutwelle hätte auch über die Brück springen können was wir kaum überlebt hätten. Zum Glück war der Lahar recht klein und es passierte nichts. Trotzdem bekamen wir einen Eindruck von der potenziellen Kraft dieser Naturgewalt.
Am nächsten Tag drang nur noch Dampf aus dem Krater und wir wagten den Aufstieg. Der Pfad hinauf war ebenfalls unter Asche und Gehölz begraben und immer wieder mussten wir uns durch Lücken im Astwerk quetschen, das den Weg blockierte. Dabei rieselten mir Unmengen Vulkanasche in den Nacken. Zusammen mit Schweiß ergibt das ein sehr unangenehmes Gemisch. Trotzdem waren wir recht schnell und erreichten das Plateau vor dem Dom mit Einsetzen der Morgendämmerung. Wir waren nachts gegangen, denn der Aufstieg war natürlich offiziell gesperrt. Vom Krater ging ein beängstigendes Rumpeln und Zischen aus, leider war er mit Dampf gefüllt. So ließ sich nur erahnen, dass an der Stelle des alten Domes nun ein tiefes Loch mit mehreren Hundert Metern Durchmesser klaffte. Nach gut 2 Stunden auf dem windigen Kraterplateau machten wir uns an den Abstieg. Ohne Schwierigkeiten erreichten wir Selo. Am nächsten Tag legte die Aktivität wieder zu und der Merapi förderte wieder eine Aschewolke. Wir hatten genug und machten uns auf den Weg zum Krakatau, doch das ist eine andere Geschichte.
Stand 2010